München – Die seit langem anhaltende Niedrigzinsphase hat den Immobilienmarkt und das Verhalten von Kreditnehmern verändert. Das zeigen Daten von über 600.000 Finanzierungsabschlüssen von 2010 bis Ende Juni 2020, die Interhyp ausgewertet hat. „Das Niedrigzinsumfeld der letzten Dekade hat die Nachfrage nach Immobilien befeuert und die Kaufpreise und Darlehenssummen deutlich steigen lassen“, sagt Jörg Utecht, Vorstandsvorsitzender von Interhyp. Das Zinsniveau für Baufinanzierungen liegt nur bei etwa einem Viertel der vor zehn Jahren üblichen Konditionen. „Die sehr niedrigen Zinsen für Immobilienfinanzierungen ermöglichen leistbare Kreditraten. Daher bleibt die Immobilie weiter interessant für Eigennutzer und mangels Anlagealternativen auch für Kapitalanleger.“ Die Coronakrise habe den Run auf die Immobilie insgesamt gesehen bisher nicht gestoppt und das eigene Zuhause stärker in den Fokus gerückt. Die durchschnittlichen Immobilienpreise inklusive Nebenkosten in Deutschland sind im ersten Halbjahr 2020 gegenüber dem Vorjahresdurchschnitt um mehr als sieben Prozent gestiegen. Gleichzeitig sei unter Kunden einer Baufinanzierung der Trend der vergangenen Jahre, eine hohe Tilgung und lange Zinsbindungen zu wählen, auch 2020 zu beobachten. Im ersten Halbjahr haben Kunden einer Baufinanzierung im Durchschnitt mehr Eigenkapital eingebracht als im Vorjahr.
Während in 2010 für zehnjährige Darlehen Zinsen von rund 4 Prozent pro Jahr verlangt wurden, liegen die Konditionen heute meist unter einem Prozent. Das immer weiter gesunkene Zinsniveau hat dazu geführt, dass die Nachfrage nach Immobilien gestiegen ist. Der durchschnittliche Kaufpreis einer über Interhyp finanzierten Immobilie lag inklusive Nebenkosten im Jahr 2010 bei durchschnittlich 277.000 Euro, in 2019 bei 403.000 Euro und im 1. Halbjahr 2020 bei durchschnittlich 434.000 Euro. Im 1. Halbjahr 2020 lag die Steigerung bei mehr als sieben Prozent. Betrachtet man die durchschnittlichen Quadratmeterpreise ergibt sich eine Steigerung im ersten Halbjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahresdurchschnitt um sechs Prozent (3.330 Euro 2020 im Vergleich zu rund 3.140 Euro 2019). Im Vergleich des Jahresdurchschnitts 2019 mit 2018 lag die Steigerung der Quadratmeterpreise nur leicht höher (bei rund sieben Prozent). Zwar gebe es regional und auch in den Monaten Unterschiede in der Preisentwicklung, und zum Teil auch temporäre Preisrückgänge, insgesamt überwiege aber die steigende Tendenz in 2020. Das spiegelt sich in den Anträgen zur Baufinanzierung wider. „In der Coronakrise haben wir eine hohe Nachfrage nach Immobilien und Finanzierungen gesehen, auch wenn es Schwankungen in den Monaten gab“, sagt Jörg Utecht. „Im März und April, kurz nach dem Allzeittief der Bauzinsen und zu Beginn der Coronakrise haben sich besonders viele Menschen zu einem Kauf und einer Finanzierung entschlossen.“ Auch aktuell gebe es sehr viele Anfragen nach Baufinanzierungen. „Die Coronakrise hat die eigene Wohnsituation stärker in den Fokus gerückt“, sagt Jörg Utecht. „Die hohe Nachfrage nach Finanzierungen im ersten Halbjahr trotz der Einschränkungen durch Lockdown und Abstandsregeln zeigt, dass sich die Menschen dem Thema Wohnen mehr zuwenden. Der Wunsch nach dem eigenen Zuhause und nach der damit verbundenen Sicherheit ist bei vielen gewachsen.“
Immobilie als Kapitalanlage gefragt – aber in der Coronakrise nicht mehr als vorher
Das günstige Zinsniveau hat die Immobilie als Geldanlage in den vergangenen zehn Jahren attraktiver werden lassen. Der Anteil der Kapitalanleger, die eine vermietete Immobilie finanzieren, hat sich seit 2010 mehr als verdoppelt, von zwölf Prozent in 2010 auf heute 25 Prozent. Die deutliche Mehrheit, aktuell drei Viertel der Kunden einer Baufinanzierung, kaufen oder bauen eine Immobilie aber, um selbst darin zu wohnen. Hier hat es im ersten Halbjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr keine wesentliche Veränderung gegeben.
Bauherren und Käufer achten auf Sicherheit – in der Coronakrise gewinnt auch Flexibilität der Baufinanzierung an Bedeutung
Die Auswertung zeigt, dass Bauherren und Käufer angesichts der hohen Kauf- und Kreditsummen heute mehr als vor zehn Jahren darauf achten, sicherheitsorientiert zu finanzieren, mit höheren Tilgungen, längeren Zinsbindungen und höheren Summen an Eigenkapital. Die anfängliche Tilgung bei Bauherren und Käufern ist von 2,6 Prozent im Jahr 2010 auf 3,3 Prozent im Jahr 2020 gestiegen, die durchschnittliche Zinsbindungsfrist lag 2010 bei 11,6 Jahren, heute bei 13,7 Jahren. „Wir merken auch in der Beratung unserer Kunden, dass Immobilienkäufer und Bauherren auf Sicherheit in der Finanzierung Wert legen“, sagt Mirjam Mohr, Vorständin für das Privatkundengeschäft. „Wir raten zu anfänglichen Tilgungen von mindestens drei Prozent, einem Eigenkapitalanteil von 20 Prozent vom Kaufpreis plus Eigenmittel für Nebenkosten sowie Zinsbindungen von zehn Jahren und länger.“ Die durchschnittliche Eigenkapitalsumme ist gestiegen: Bauherren und Käufer haben 2010 durchschnittlich 83.000 Euro eingebracht und 2019 101.000 Euro. Im ersten Halbjahr 2020 ist dieser Wert auf 111.000 Euro gestiegen. Dies ist auch ein Indiz dafür, dass Eigennutzer in der Coronakrise bewusster darauf achten, auf Sicherheit zu gehen. Der Beleihungsauslauf, ein Maß für den Kreditanteil, sei von 80 Prozent im Jahresdurchschnitt 2019 auf jetzt 79 Prozent leicht gesunken. Im Vergleich zu 2010 ist er aber heute höher, damals lag er bei rund 75 Prozent. Dies sei auf die hohen Kaufpreise und Darlehenssummen zurückzuführen.
Der Anteil der anfänglichen Tilgung sei in der Coronakrise aber nicht angestiegen, sondern im Vergleich zu 2019 etwa gleichgeblieben. „Die Coronakrise könnte bewirkt haben, dass Kunden einer Baufinanzierung die monatlichen Belastungen im Rahmen halten wollen“, sagt Mirjam Mohr. „Wir sehen in der Beratung, dass oft auch nach Möglichkeiten von Tilgungssatzwechseln gefragt wird, um bei Einkommenseinbußen oder einem höheren Einkommen die Raten nach oben oder unten anpassen zu können. Flexibilität ist wichtiger geworden.“ Insgesamt liegt die Durchschnittsrate für eine Finanzierung heute bei rund 1050 Euro im Monat wie schon 2019. 2010 waren es rund 925 Euro, also nur 125 Euro weniger, trotz heute höherer Tilgung. „Die vergleichsweise noch niedrigen Monatsraten trotz hoher Darlehenssummen werden durch die niedrigen Zinsen möglich, denn die Raten setzt sich aus Zins und Tilgung zusammen“, erklärt Mirjam Mohr.
Die Auswertung zeigt auch, dass Eigenheimbesitzer mit bestehenden Krediten in den vergangenen zehn Jahren besonders von der Niedrigzinsphase profitiert haben. Sie konnten die Zinsersparnis zur Entschuldung nutzen. Die anfängliche Tilgung bei Anschlusskrediten ist von durchschnittlich 3,6 Prozent in 2010 auf heute 6 Prozent gestiegen. Bei einem Zinssatz von einem Prozent bedeutet das, dass ein Darlehen neun Jahre früher abbezahlt werden kann.
Markt für Immobilien und Finanzierungen hängt nicht nur vom Zins ab
Das Zinsumfeld wird vorerst günstig bleiben, erwartet Interhyp. „Die lockere Geldpolitik der Notenbanken sowie die anhaltende Nachfrage nach langfristigen Anleihen und Pfandbriefen stützen das niedrige Zinsumfeld weiterhin“, sagt Vorstandsvorsitzender Jörg Utecht. Die Nachfrage nach Immobilien und die Möglichkeit, sich eine Immobilie und ein entsprechendes Darlehen leisten zu können, hängt aber nicht allein vom Zins ab. Jörg Utecht: „Ob wir weiterhin eine hohe Nachfrage nach Immobilien und Finanzierungen sehen werden, wird vor allem von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland und den Einkommenserwartungen abhängen. Wir gehen momentan von einer weiterhin hohen Nachfrage nach Immobilien und Finanzierungen aus. Langanhaltende Probleme würden die Nachfrage dämpfen. Die aktuelle Entwicklung zeigt aber, dass der Immobilienmarkt robust ist und die Immobilie in der Krise weiter attraktiv geblieben ist.“
Für die Studie hat Interhyp mehr als 600.000 Abschlüsse von Finanzierungen aus den Jahren 2010 bis Ende Juni 2020 ausgewertet, die das Unternehmen an rund 500 Bankpartner vermittelt hat, darunter Erstfinanzierungen für den Bau oder Kauf einer Immobilie sowie Anschlussfinanzierungen.
Quelle: Interhyp AG