1,1 Billionen Euro: In diesem Umfang wird die Europäische Zentralbank (EZB) dieses Jahr Staats- und Unternehmensanleihen kaufen, um sich gegen die Corona-Krise zu stemmen. Bereits jetzt hält die Zentralbank Anleihen im Wert von fast 3 Billionen Euro. Denn nach ihrem energischen Einschreiten in der Eurokrise 2012 fanden die Währungshüter nie den Weg zurück zur geldpolitischen Normalität. Durch das Coronavirus ist nun genau das eingetreten, was viele Finanzexperten schon länger gefürchtet hatten: eine erneute Krise, die das massive Eingreifen der Notenbank notwendig macht. Da die Geldschleusen der EZB nie geschlossen wurden und alle gängigen Maßnahmen bereits vor Krisenbeginn ergriffen waren, bleibt der Notenbank jetzt nur ein beherzter Schritt über bisher rote Linien: Das Notfallprogramm mit dem Namen PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) sieht Anleihekäufe im Volumen von 750 Milliarden Euro vor, die sich nicht mehr wie zuvor nach dem Kapitalschlüssel der Mitgliedstaaten richten müssen. Damit könnte die Zentralbank jetzt überproportional viele Staatsanleihen eines einzelnen Landes kaufen. In der vergangenen Woche fiel ein weiterer Grundsatz: Die EZB kann nun auch Staatsanleihen ohne Investment Grade, so genannte „Schrottanleihen“ kaufen. Dies kommt vor allem angeschlagenen Euroländern wie Italien zugute, deren Kreditwürdigkeit in der aktuellen Krise herabgestuft werden könnte.
Michael Neumann sieht das Einschreiten der EZB insgesamt positiv: „Das erste Maßnahmen-Paket, das die EZB auf ihrer März-Sitzung schnürte, hat kaum Wirkung gezeigt und die Märkte beruhigten sich nicht. Nur wenige Tage später folgte das umfangreiche Notfallprogramm PEPP und hier spüren wir mittlerweile eine deutliche Wirkung: Die enorme Volatilität ist zurückgegangen und die Aktienmärkte erholen sich langsam“, erklärt der Experte. „Meiner Meinung nach ist in den aktuellen Optimismus an den Börsen bereits eingepreist, dass der Lockdown langsam beendet wird, die Infektionszahlen stabil bleiben und von den Nationalstaaten zügig weitere Konjunkturprogramme umgesetzt werden.“ Ein vorsichtiger Optimismus also, der allerdings auch deutlich macht: Sollte eine der Annahmen nicht zutreffen und die Infektionszahlen doch wieder hochschnellen, dürfte das Börsenchaos schnell zurück sein.
Corona legt US-Wirtschaft lahm, Fed reagiert frühzeitig und entschlossen
Wie schon in der Finanzkrise reagierte die US-Notenbank Fed auch dieses Mal deutlich schneller als ihr europäischer Konterpart: Während die EZB zunächst zögerlich agierte, schaltete die Fed bereits Anfang März in den vollen Krisenmodus. Sie senkte ihren Leitzins innerhalb von zwei Wochen auf fast Null, vervielfachte ihre Anleihekäufe und legte weitreichende Kreditprogramme auf. Erstmals sollen nun auch Kredite an Bundesstaaten, Kommunen und Unternehmen vergeben werden. Damit überschreitet auch die amerikanische Notenbank eine rote Linie, die sie zuvor selbst gezogen hatte.
Auch den schnellen und entschlossenen Maßnahmen der Fed ist es zu verdanken, dass die Börsen in den USA sich trotz der massiven wirtschaftlichen Verwerfungen wieder erholen. „Wir sehen in den USA wirtschaftlich gerade das Worst-Case-Szenario der Krise. Die Umsätze zahlreicher Unternehmen brechen ein. Da kaum Arbeitnehmerschutz vorhanden ist und keine Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld zur Verfügung stehen, schnellt die Arbeitslosigkeit sprunghaft nach oben“, so Michael Neumann. Dass die drei großen amerikanischen Indizes sich dennoch wieder im Aufwind befinden, ist allerdings kein Widerspruch zu dieser Entwicklung: „An der Börse wird die Zukunft gehandelt“, erklärt Neumann. „Und die Erwartungshaltung ist aktuell, dass der Höhepunkt der Pandemie hinter uns liegt, dass die Maßnahmen der Fed greifen und dass die Wirtschaft von Seiten der Politik mit weiteren Hilfspaketen gestärkt wird.“
Covid-19 in Deutschland: Die historischen Chancen der Krise
Es steht außer Frage, dass die deutsche Wirtschaft von den Folgen der Pandemie hart getroffen wird. In den folgenden Monaten wird es darum gehen, wie lange der Abschwung anhält und wie schnell der Weg aus der Krise gelingen kann. „Die Bundesregierung hat schnell reagiert und mit ihrem enormen Rettungsschirm signalisiert, dass der Staat die Unternehmen schützen wird. Zudem können durch das Kurzarbeitergeld Fachkräfte in den Unternehmen gehalten und die Produktion nach der Krise schnell wieder hochgefahren werden. Die Maßnahmen sind extrem sinnvoll und ein wichtiges Signal für die Märkte“, meint der Experte Neumann. Klar ist, dass Deutschland sich die rasche und umfangreiche Krisenhilfe im Gegensatz zu anderen Staaten leisten kann. Selbst mit einem Unterstützungspaket, das am Ende deutlich oberhalb der 1-Billion-Euro-Grenze liegt, bleibt die Gesamtverschuldung immer noch deutlich unter der vieler anderer Staaten. „Ich gehe nicht davon aus, dass die Bonität Deutschlands durch die Corona-Krise in Frage gestellt wird – weder durch die erwartete Rezession noch durch die Neuverschuldung“, meint daher Michael Neumann. Er geht von einer raschen Erholung der Wirtschaft aus, sobald der Höhepunkt der Pandemie überschritten ist. Im Hinblick auf die Konjunkturprogramme warnt er jedoch vor einem Gießkannenprinzip: „Die Politik sollte sich intensiv Gedanken darüber machen, wie sie die Konjunkturhilfen zukunftsorientiert einsetzen kann. Die Corona-Krise bietet uns jetzt eine einmalige Chance, den Transformationsprozess zu einer nachhaltigen, digitalisierten und innovativen Gesellschaft zu beschleunigen. Diese Chance müssen wir nutzen.“
Bundesanleihen weniger volatil, Bauzinsen steigen leicht
Dass sich die Finanzmärkte etwas beruhigt haben, lässt sich auch an der Entwicklung der zehnjährigen Bundesanleihe ablesen: Während ihre Rendite Anfang März zunächst auf ein historisches Tief von -0,86 Prozent sank, schnellte sie nur wenige Tage später auf -0,23 Prozent hoch. Im April pendelte sie sich recht stabil zwischen -0,3 und -0,5 Prozent ein. Der Bestzins für eine Baufinanzierung mit zehnjähriger Zinsbindung ist zwar leicht gestiegen, liegt mit aktuell 0,41 Prozent aber weiterhin niedrig. „Die steigenden Zinsen sind aktuell vor allem dadurch bedingt, dass viele Banken ihre Risiko-Marge anpassen. Auch mittelfristig erwarte ich leicht steigende Zinsen. Durch die konjunkturellen Probleme in Deutschland und die Neuverschuldung wird die Nachfrage nach Bundesanleihen vermutlich etwas zurückgehen und ihre Renditen steigen. Ein starker Anstieg ist aufgrund der massiven Anleihekäufe der EZB aber sehr unwahrscheinlich“, so die Prognose Neumanns.
Quelle: Dr. Klein Privatkunden AG