Finanzmanagement ist viel mehr als nur Kapitalbeschaffung
Heute: Wie Corona-Hilfen Unternehmen in die Existenzkrise treiben können
Für die Mittelstand-Nachrichten.de beschreibt Thomas Leopold, erfolgreicher freiberuflicher beratender Betriebswirt und Unternehmens-Podcaster, welchen Einfluss die Corona-Überbrückungshilfen auf Unternehmen in Krisen nehmen können:
„Das ist – zugegeben – eine provokante Überschrift. Das was dahintersteht ist allerdings nicht neu; es passiert beinahe täglich in Deutschland. Ähnlich wie bei der Nutzung einer Kopfschmerztablette. Der Schmerz zeigt sich, Tablette einwerfen. Der Schmerz kommt wieder, Tablette einwerfen. Und so weiter. Nach ein paar Monaten, oder Jahren, zeigt der Körper die rote Karte. Exodus. Alle stehen fassungslos am Grab und rufen „er war doch immer gesund“. War er nicht. Er hat nur nicht auf die Symptome geachtet, sondern sie mit Tabletten aus dem Bewusstsein geschafft.
Bei Unternehmen in Krisen ist es in vielen Fällen ähnlich. Die Krise zeigt sich deutlich, wenn der Kontostand im tiefroten Bereich ist, und dem Banker bei den Besprechungen der Rauch aus den Ohren steigt. Im Krisenverlauf hat das Unternehmen dann die Liquiditätskrise erreicht; diese wird regelmäßig sehr zügig von der Insolvenzreife abgelöst.
Bei genauer Betrachtung werden die Gründe schnell deutlich. Liest man einen typischen Krisenverlauf auf einem Zeitstrahl rückwärts, so kommt vor der Liquiditätskrise die Ertragskrise; davor die Produkt- und Absatzkrise, davor die Strategiekrise, davor – als auslösendes Moment – die Stakeholderkrise. Was hat diese Krisen bis dahin unsichtbar gemacht??? Die Kopfschmerztablette, hier auftretend als Liquidität. Das Konto ist voll, klappt ja alles. Auf dem Weg in die Liquiditätskrise werden noch ein paar Kredite aufgenommen, das Konto ist wieder voll, klappt ja alles.
Und jetzt, in Corona-Zeiten? Jawoll, Liquidität durch Überbrückungshilfen und staatlich subventionierte Kredite. Und allen Lesern und Leserinnen, die mich jetzt gerne hauen möchten, weil sie sich anspruchsberechtigt sehen für solche Hilfen …. Bitte nicht gleich zuschlagen! Weiterlesen. Ich gönne jedem Unternehmen die Unterstützung von Herzen und weiß, wie existenziell wichtig diese in vielen Fällen ist. Und trotzdem, von dem emotionalen Eindruck eines vollen Kontos kann sich keiner freimachen. Und keiner kann sich freimachen von den Entscheidungen, die unter diesem Eindruck getroffen werden. Es sei denn, man hat ein funktionierendes Finanz-Management-System mit rollierender Finanzplanung und stringenter Einhaltung von Kosten-Budgets.
Ich kenne viele Unternehmerinnen und Unternehmer, die ihre Finanzen nicht im Griff haben. Kennen Sie das? Die Umsätze steigen und steigen, aber unterm Strich – da wo der Gewinn für den Unternehmer / die Unternehmerin stehen soll, steigt es nicht mit. Ja, es wird manchmal sogar weniger. Ich nenne das „Löcher im Eimer“. Es fließt weg, und keiner weiß so genau, wohin. Das funktioniert, solange oben immer mehr Wasser reingeschüttet wird. Und jetzt stellen Sie sich bitte die Corona-Hilfen vor. Und dann, dass diese irgendwann versiegen. Die Löcher bleiben!
Viele Stimmen in Wirtschaftsmagazinen etc. warnen vor einer Insolvenz-Welle in diesem Jahr. OK, man hat auch vor einem Jahr schon davor gewarnt. Die Welle ist ausgeblieben, weil kiloweise Kopfschmerztabletten verteilt wurden. Sie wird kommen. Und sie wird voraussichtlich tiefgreifend werden.
Das Gravierende bei Insolvenzen ist nicht die Insolvenz selbst; das Gravierende ist, dass die Insolvenzanträge viel zu spät gestellt werden. Dass Entscheidungen nicht oder nicht rechtzeitig getroffen werden. Das ist bei Insolvenzen häufig so. Im Ergebnis engt eine zu spät beantragte Insolvenz die Handlungsspielräume für die Geschäftsleitung, aber auch den Insolvenzverwalter, massiv ein. Oftmals müssen dabei strafrechtlich relevante Tatbestände gegenüber der Geschäftsleitung geprüft werden. Damit wird der eigentliche Sinn einer Insolvenz, der Entschuldung und Sicherung des Fortbestandes der Unternehmung, immens schwierig.
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern, dass sie nicht in dieser Situation sind. Dass Sie ein funktionierendes Finanz-Management-System haben. Dass sie die richtigen Entscheidungen treffen. Und, wenn nicht: Fangen Sie jetzt damit an!“
Über den Autor Thomas Leopold
Thomas Leopold ist als betriebswirtschaftlicher Sparringspartner im Mittelstand spezialisiert auf das Thema Unternehmensfinanzierung und mit seiner 30-jährigen Erfahrung als Banker ein echter Bankenflüsterer. Mit seinen weiteren Erfahrungen aus verschiedenen Finanz-Positionen (Leiter Finanzen und Controlling sowie Head of Investors Relationship Management) in mittelständischen Unternehmen ist er seit 2014 freiberuflicher beratender Betriebswirt.