Eine Studie des Tübinger Leibniz-Instituts für Wissensmedien (IWM) untersuchte erstmals, wie sich individuelles Verhalten in Online-Meetings mit Unbekannten auswirkt. Dabei zeigte sich: Gute Networking-Skills mildern die Nachteile einer Zusammenarbeit auf Distanz ab. Unternehmen sollten Interaktion daher bewusst fördern.
Die Corona-Krise boosterte mobile Arbeitskonzepte. Zoom- oder Teams-Meetings bleiben in vielen Organisationen zentrales Austauschformat. „Mit dem eigenen Team funktioniert diese Zusammenarbeit mittlerweile meist recht gut, auch wenn negative Effekte wie die sogenannte Zoom-Müdigkeit, eine bei häufigen Videokonferenzen entstehende Erschöpfung, auftreten können“, weiß Prof. Dr. Soja Utz vom Tübinger Leibniz-Institut für Wissensmedien. Da sich die bisherige Forschung vorrangig auf Videokonferenzen innerhalb eines Teams oder einer Organisation konzentrierte, untersuchte sie mit ihrer Mitarbeiterin Linda-Elisabeth Reimann das aktive Verhalten in Videokonferenzen mit weniger vertrauten Personen. Kontakte außerhalb des Teams sind wichtig, ohne sie nimmt das Abteilungsdenken zu und die Kreativität ab“, betont Prof. Utz, die individuelle Aktivitäten der Teilnehmenden betrachtete. Als aktives Verhalten werteten die Wissenschaftlerinnen das Einschalten der eigenen Webcam, Smalltalk mit anderen Teilnehmern oder das Kontaktieren dieser nach der Konferenz, etwa über LinkedIn.
Gutes Networking: Wissenschaftlerinnen empfehlen Regeln für Interaktionen bei Videokonferenzen
Die Ergebnisse der Studie, die vor Kurzem in der Zeitschrift Social Science Computer Review veröffentlicht wurden, zeigen, dass Personen mit einer höheren Angst vor Fremden auch beim aktiven Videokonferenzverhalten schlechter abschnitten als diejenigen mit einer geringeren Angst vor Fremden. Aber auch das Netzwerkverhalten spielte eine Rolle. „Personen, die sich generell ungern mit anderen vernetzen, wurden in Online-Meetings nur aktiver, wenn die Mehrheit der Teilnehmenden ihre Webcam eingeschaltet hatte“, berichtet Linda-Elisabeth Reimann. Überrascht waren die Wissenschaftlerinnen vom Verhalten der Personen mit ausgeprägten Networking-Skills: Sie zeigten sich besonders aktiv, wenn die Mehrheit ohne Kamerabild an der Videokonferenz teilnahm. „Dieses Ergebnis könnte ein Hinweis darauf sein, dass gute Netzwerker versuchen, durch eigenes aktives Verhalten andere zu motivieren“, so Prof. Utz. Nicht nur aus Sicht der Psychologin eine wichtige Erkenntnis: So zeigte eine kürzlich in der Zeitschrift Nature veröffentlichte Studie, dass unternehmensweite Fernarbeit während der Pandemie das Silodenken in Unternehmen verstärkt. Personen kommunizieren meist nur noch mit ihrem eigenen Team, schauen aber seltener über den eigenen Tellerrand. Brückenverbindungen zu Personen außerhalb des eigenen Teams sind aber wichtig, um langfristig Einbußen bei Kreativität und Innovation zu vermeiden.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass gute Netzwerkfähigkeiten und geringe soziale Ängste Faktoren sind, die potenzielle Nachteile einer längeren Remote-Zusammenarbeit abmildern können“, so Linda-Elisabeth Reimann, die die Studie konzipiert und durchgeführt hat. Sie betont aber auch, dass Organisationen sich der technischen und kommunikativen Möglichkeiten sowie der Herausforderungen, die solche Online-Umgebungen bieten, stärker bewusst werden sollten. Sie empfiehlt, mehr Standards, Regeln oder Konventionen zu etablieren, die den Teilnehmenden Orientierung für eine bessere Interaktion bei Videokonferenzen geben. Dazu gehört nicht nur das Aktivieren der Webcam, sondern auch ein Bewusstsein dafür, dass Videokonferenzen außerhalb des eigenen Teams eine wertvolle Vernetzungsmöglichkeit bieten, die auch genutzt werden sollte.
Quelle: Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM)