Der Frosch-im-Kochtopf-Effekt – Warum Unternehmen oft zu spät reagieren
Eine Kolumne von Christian Holzhausen
Ein oft erzähltes Bild aus der Welt der Metaphern: Ein Frosch sitzt in einem Topf mit Wasser, das langsam erhitzt wird. Anstatt rechtzeitig zu fliehen, bleibt er sitzen – und wird am Ende gekocht. Dieses Bild wird gern genutzt, um träge Reaktionsmuster in Organisationen zu beschreiben. Interessant daran: Es stimmt nicht. Der Frosch springt sehr wohl, sobald es ihm zu heiß wird.
Die eigentliche Frage ist also: Warum springen wir nicht? Warum bleiben Menschen – und mit ihnen ganze Unternehmen – in Situationen, die spürbar immer schlechter werden?
Die Trägheit der Gewöhnung
Die Antwort liegt in einem menschlichen Verhalten, das sich auch in Organisationen widerspiegelt: Wir gewöhnen uns an Belastung. An steigenden Druck. An schleichenden Verlust von Motivation, Gesundheit oder Effizienz. Statt zu handeln, hoffen wir, dass es „schon wieder wird“.
Gerade in mittelständischen Unternehmen zeigt sich das besonders deutlich: Die Fluktuation steigt, das Betriebsklima kippt, Krankenstände nehmen zu – und dennoch wird nicht hinterfragt, sondern häufig relativiert. Führungskräfte sind selbst überlastet, die operative Hektik lässt kaum Zeit für Analyse oder Kurskorrekturen.
Das größte Risiko? Die Symptome werden ignoriert oder verharmlost. Und das so lange, bis der Veränderungsdruck nicht mehr steuerbar ist.
Frühindikatoren erkennen – bevor es brennt
Unternehmen haben durchaus „Frühwarnsysteme“. Die Kunst besteht darin, sie ernst zu nehmen. Typische Signale:
- Erhöhte Fehlzeiten, gerade im Bereich psychischer Belastungen
- Sinkende Innovationskraft – Ideen werden nicht mehr eingebracht oder umgesetzt
- Hohe Wechselbereitschaft – besonders in Teams mit direktem Kundenkontakt
- Interne Spannungen, die sich in Beschwerden, Rückzug oder Konflikten zeigen
- Führungskräfte in Dauerüberlastung, die eher reaktiv als gestaltend agieren
Diese Signale sind vergleichbar mit einer aufziehenden Wetterfront: Wer sie ignoriert, läuft Gefahr, unvorbereitet in den Sturm zu geraten.
Vom Reagieren ins Agieren kommen
In der Arbeit mit mittelständischen Unternehmen zeigt sich immer wieder: Es ist möglich, gezielt gegenzusteuern – wenn man bereit ist, genauer hinzusehen und die richtigen Fragen zu stellen.
Es geht dabei nicht um große Reorganisationen, sondern um gezielte Temperaturchecks im Alltag:
- Was sagen uns die Zahlen zu Krankenstand und Fluktuation wirklich?
- Gibt es belastbare Hinweise auf innere Kündigung oder strukturelle Überforderung?
- Wie viel psychologische Sicherheit erleben Mitarbeitende in ihrem Team?
- Wie gesund ist unsere Führungs- und Kommunikationskultur?
Eine der wirksamsten Maßnahmen besteht darin, nicht auf Vermutungen zu setzen, sondern gezielt zu messen: durch Mitarbeitendenbefragungen, psychische Gefährdungsbeurteilungen, strukturierte Feedbackformate. Sie schaffen die Grundlage für faktenbasierte Entscheidungen – und machen sichtbar, was sonst unsichtbar bleibt.
Analyse statt Bauchgefühl – eine unternehmerische Pflicht
Was im Einzelnen banal klingt, hat strategisches Gewicht. Unternehmen, die auf systematische Analysen setzen, schaffen sich echte Entscheidungssicherheit. Wer hingegen auf Bauchgefühl und Durchhalteparolen baut, läuft Gefahr, die Kontrolle zu verlieren.
Dabei ist es nicht entscheidend, ob eine Maßnahme groß oder klein ist – sondern ob sie zur Situation passt. Denn eine willkürliche Maßnahme in der Hoffnung auf Wirkung ist wie ein Fächer im Hitzestau: Symbolisch, aber nicht zielführend.
Führung beginnt mit Hinschauen
Ein Punkt, der in der Praxis oft übersehen wird: Führungskräfte sind nicht nur Betroffene dieser Entwicklungen – sie sind auch Schlüssel zur Veränderung.
Wenn Führung beginnt, sich ehrlich mit der Realität auseinanderzusetzen, entsteht Handlungsspielraum. Das verlangt Mut, insbesondere dann, wenn die eigene Rolle Teil des Problems sein könnte. Doch dieser Schritt ist notwendig, wenn es darum geht, Organisationen widerstandsfähig und zukunftsfähig zu gestalten.
In der Arbeit mit Führungsteams zeigt sich immer wieder: Die Bereitschaft zur Reflexion ist keine Schwäche, sondern Ausdruck von Verantwortung. Sie ist zugleich ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung eines gesunden Unternehmens, das sich nicht nur über Kennzahlen definiert, sondern auch über die Qualität seiner Zusammenarbeit und seiner Kultur.
Fazit: Der Frosch springt – tun wir es auch?
Auch wenn das Bild vom Frosch im Kochtopf biologisch nicht korrekt ist – es bleibt ein wirksames Gleichnis. Nicht, weil es zeigt, wie der Frosch reagiert – sondern weil es offenbart, wie wir es oft nicht tun.
Die gute Nachricht: Unternehmen können lernen, rechtzeitig zu „springen“. Nicht in Panik, sondern mit Weitblick. Wer regelmäßig misst, was wirklich los ist, und offen für ehrliche Antworten bleibt, stärkt nicht nur seine Wandlungsfähigkeit – sondern schützt auch das Wichtigste: die Menschen im Unternehmen. Damit entsteht die Grundlage für das, was heute mehr denn je zählt: ein gesundes Unternehmen mit Zukunft.
Autorenprofil:
Christian Holzhausen ist MiNa-Kolumnist, Moderator, Coach und Business-Trainer mit langjähriger Erfahrung in der Unternehmenswelt. Seine Schwerpunkte liegen in der Förderung von Gelassenheit im Business-Alltag sowie in der sinn- und werteorientierten Gestaltung von Unternehmen und Leben. Er begleitet Unternehmer und Führungskräfte dabei, ihre Potenziale zu erkennen, Klarheit zu gewinnen und nachhaltigen Erfolg zu gestalten. Mit Empathie und einem Fokus auf das Wesentliche teilt er als Autor praxisnahe Impulse, die inspirieren und echte Transformation ermöglichen.