Fachkräfte binden statt suchen – Attraktive Arbeitgeber denken weiter
Eine Kolumne von Reiner Huthmacher

Neues Personal ist nicht nur schwer zu finden, es ist auch teuer. Zwei bis drei Monatsgehälter bekommt ein Headhunter als Provision. Hinzu kommen Kosten für Stellenanzeigen, die Einarbeitung und den ganzen Overhead, den „ein Neuer“ verursacht. Und „der Alte“? Der nimmt wertvolles Wissen mit, Kundenkontakte und gewachsene Strukturen. Wäre es dann nicht besser, bereits vorhandene und gut integrierte Mitarbeiter im Betrieb zu halten, auch dann, wenn viel in deren gute Laune und Motivation investiert werden muss? Grundsätzlich gilt: Fluktuation ist teuer. Investitionen in die Arbeitgeberattraktivität hingegen zahlen sich in aller Regel aus.
Dabei ist Arbeitgeberattraktivität deutlich mehr als gute Bezahlung, ein Dienstwagen (in der modernen Bewusstseinswelt darf es auch ein Dienstrad sein) oder ein Tank-, Verzehr- oder Fitnessgutschein. Es ist auch mehr als freier Fair-Trade-Kaffee, ein ergonomischer Arbeitsplatz oder der modern gestylte Pausenraum mit Flipper und Gastrokühlschrank. Arbeitgeberattraktivität ist nicht die Summe von Benefits und Zusatzleistungen – es ist ein Puzzle mit unterschiedlich vielen Teilen, auf das jeder einzelne Arbeitnehmer anders blickt.
Unterschiedliche Ansprüche der Generationen
So ist dem Mitte-Fünfzig-Jährigen das Thema betriebliche Gesundheitsvorsorge inklusive Zahnersatzkosten deutlich wichtiger als dem Anfang-Dreißig-Jährigen, der gerade ein Haus baut und eine junge Familie zu versorgen hat. Ganz zu schweigen von den vielen Boomern in den Belegschaften, die nur noch eine kurze Restlaufzeit „auf der Arbeit“ haben und sich fragen, ob sie lieber mit Abschlägen in Frührente gehen oder doch auf die neue Aktivrente der neuen Bundesregierung warten, um auch nach dem 67. Lebensjahr steuerfrei etwas hinzuzuverdienen. Die Bedürfnisse sind unterschiedlich – und somit die Faktoren, die einen Arbeitnehmer für den Arbeitgeber einnehmen und begeistern.
Dem einen sind flexible Arbeitszeiten wichtig, Remote Work, neue Technologien und hippe Endgeräte, dem anderen die althergebrachten Privilegien, die man in langer Betriebszugehörigkeit erworben hat. Allen dürften jedoch die Themen Führungskultur, Konfliktmanagement und Sinn der eigenen Arbeit wichtig sein. Die Anforderungen an Arbeitgeber sind groß – und sie sinken auch nicht, nur weil derzeit Rezession und Handelskonflikte die Wahrnehmung bestimmen.
KI legt keine Fliesen
Fakt ist, es gibt weniger junge arbeitsfähige Menschen, während rund 5,4 Millionen Boomer in ganz kurzer Zeit in den Ruhestand gehen. Künstliche Intelligenz wird auf absehbare Zeit weder Fliesen legen noch Wasserhähne reparieren. Genauso wenig werden wir akzeptieren, dass ausschließlich Roboter unsere geschätzten Dienstleistungen erbringen, etwa im Hotel, im Restaurant oder beim Einkauf. Und Zuwanderung? Das ist ja eh ein kritisches Thema. Die deutsche Sprache ist schwierig, eine Willkommenskultur nur bedingt vorhanden und sonderlich attraktiv ist der Standort Deutschland für ausländische Fachkräfte ohnehin nicht. Viele Arbeitgeber, aber auch Kunden, erwarten perfektes Deutsch und scheitern damit schon bei der Anwerbung. Dass ausländische Fachkräfte unsere Arbeitsmarktprobleme lösen, ist also nur bedingt zu erwarten.
Fachkräftemangel bleibt trotz Rezession, KI und Zuwanderung
Selbst bei optimaler Aufholjagd in Sachen Digitalisierung und KI sowie bei einem radikalen Umdenken in Sachen Arbeitsmigration wird es also noch länger einen Fach- und Arbeitskräftemangel geben. Und damit den Wettbewerb um die besten Köpfe, die bereit sein müssen, für einen zu arbeiten. Man muss sich also um Attraktivität bemühen, wenn man als Chef nicht alles allein machen kann oder will. Die Frage ist nicht, ob man ein attraktiver Arbeitgeber werden muss, sondern wie man möglichst schnell und effektiv zu einem attraktiven Arbeitgeber wird.
Hier hilft der Blick von außen. Es ist beispielweise für einen Handwerksbetrieb mit 20 oder 50 Kolleginnen und Kollegen kaum möglich, alle Möglichkeiten und Maßnahmen zu kennen, die ein Unternehmen für die Mitarbeiter attraktiv machen könnten, und die von betrieblichen Zusatzleistungen über geldwerte Vorteile bis hin zu Persönlichkeitsentwicklung und tiefgreifenden Managementstrukturreformen reichen. Einen Externen fragen, gibt neue Einblicke und schärft den Blick für die eigenen Möglichkeiten.
Blick von außen, Blick von innen
Und es hilft ebenso, den Blick nach innen zu richten und zuzuhören, seine Leute zu kennen und deren Lebenssituation einzuschätzen. Arbeitgeberattraktivität hat viel mit zuhören zu tun – nicht nur um Betriebsalltag. Dabei ist Arbeitgeberattraktivität kein individuelles Wünsch-Dir-was, denn manche Maßnahmen können sich auch widersprechen oder gar der Unternehmensphilosophie zuwiderlaufen. Der Luxusdienstwagen passt schließlich nicht zum Öko-Engagement eines Unternehmens. Die Dinge müssen strategisch durchdacht und aufeinander abgestimmt sind, nicht trotz, sondern gerade wegen der teils sehr unterschiedlichen Interessen einzelner Akteure.
Die Wünsche, aber auch die Möglichkeiten reichen von einer modernen Inneneinrichtung über individuelles Coaching und psychologie-basierte Persönlichkeitsdiagnostik im Hinblick auf das eigene Team und die eigene Tätigkeit bis hin einzelnen Karriereplanungen und Home-Office-Strukturen. Und all dies muss zur Marke des Arbeitgebers passen, zur Mission, zu den Prozessen und den einzelnen Menschen. Selbst IT-Tools, das Projekt-Management und strategische Wachstumsentscheidungen sind potenziell Teil einer ganzheitlichen Planung in Sachen Arbeitgeberattraktivität. Ganz zu schweigen von den Themen Nachhaltigkeit, soziales Engagement, Marketing und HR.
Puzzle mit unterschiedlich vielen Teilen
Erwartet wird der Perfect Match beginnend beim Recruiting und Onboarding bis hin zum eigenen Karriereende. Kein Unternehmen kann das notwendige Wissen und all die notwendigen Experten dafür vorhalten, schon gar nicht KMU. Rechts- und Steuerberater werden die meisten Unternehmen noch haben, beim Versicherungsexperten, der sich speziell um die Absicherung und betriebliche Vorsorge von Arbeitnehmern kümmert, wird es schon schwerer. Aber spätestens beim Architekten für das Innendesign, dem Psychologen für Persönlichkeitstests, dem Mediator für Konflikte, dem Feel-Good-Manager und dem Kommunikationsexperten wird es schwierig. Arbeitgeberattraktivität ist allein von der HR-Abteilung nicht zu stemmen. Es ist eben ein Puzzle mit unterschiedlich vielen Teilen.
Mehr als ein ganzes Dorf
Wie sagt man: Man braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen. Um zum Fachkräftemagneten zu werden, braucht man ein starkes Netzwerk und jemanden, der all dessen Know-how zu dem Gesamtkunstwerk zusammensetzt, das allen Mitarbeitern gefällt. Das ist die hohe Kunst der Arbeitgeberattraktivität.
Autorenprofil:
Reiner Huthmacher ist MiNa-Kolumnist seit mehr als 30 Jahren Unternehmer und Geschäftsführer mit umfassender Expertise in der Personal- und Versicherungsbranche. Als Entwickler des Spezialkonzeptes „Das kleine 1×1 der Mitarbeiterbindung und Mitarbeitergewinnung” sowie als Bezirksdirektor der Gothaer Versicherung wird er als Vortragsredner häufig gebucht. Er hat schon in zahlreichen Betrieben in ganz Deutschland für mehr Motivation und Begeisterung in den Belegschaften gesorgt. Oft hat er sogar dafür sorgen können, dass Bewerber weitere Bewerber geworben haben.