Gründen oder kaufen?
Eine Analyse des Koalitionsvertrags in Bezug auf die Auswirkungen auf Unternehmensgründungen und -nachfolge
Eine Kolumne von Thorsten Luber
Der aktuelle Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD enthält zahlreiche wirtschaftspolitische Maßnahmen, die unterschiedliche Auswirkungen auf neue und bestehende Unternehmen haben werden. Während einerseits Startups durch Bürokratieabbau und verbesserte Finanzierungsmöglichkeiten gefördert werden sollen, profitieren etablierte Unternehmen von Steuerentlastungen und Investitionsanreizen. Bei genauerem Hinsehen zeigt jedoch, dass trotz der Startup-freundlichen Rhetorik strukturelle Vorteile für bestehende Unternehmen geschaffen werden, die die Unternehmensnachfolge gegenüber Neugründungen attraktiver machen könnten. Besonders die verzögerte Umsetzung wichtiger Entlastungen für neue Unternehmen bei gleichzeitiger Einführung zusätzlicher Verpflichtungen stellt ein Ungleichgewicht dar, das den wirtschaftlichen Generationenwechsel durch Übernahmen statt durch disruptive Neugründungen begünstigen dürfte.
Rahmenbedingungen des Koalitionsvertrags
Der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD zielt darauf ab, die deutsche Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen und nach Jahren der unsicheren Politik unter der Ampel-Koalition Planungssicherheit zu schaffen. CDU-Chef Friedrich Merz verspricht „Planungssicherheit, weit über diese Wahlperiode hinaus“. Der Vertrag enthält zahlreiche Maßnahmen, die Unternehmern helfen sollen, darunter Steuererleichterungen, Bürokratieabbau und geringere Energiekosten. Gleichzeitig erkennt der Koalitionsvertrag die Bedeutung von Startups als „Hidden Champions und DAX-Konzerne von morgen“ an.
Die Wirtschaftsverbände haben die zügigen Verhandlungen der Parteien gelobt, fordern jedoch eine rasche Umsetzung der bislang nur angekündigten und weitgehend nicht fest budgetierten Reformen. Während einige Aspekte wie die Entlastung bei Energiekosten, Investitionen in die Infrastruktur und Schritte zum Bürokratieabbau positiv aufgenommen wurden, gibt es auch Kritik, insbesondere an der späten Umsetzung der Unternehmenssteuersenkung und dem Fehlen einer umfassenden Reform der Sozialversicherungssysteme.
Positive Signale für Startups
Der Koalitionsvertrag setzt wichtige Signale für die Startup-Szene, besonders durch die „Verdopplung der WIN-Initiative auf über 25 Milliarden Euro und die Verstetigung des Zukunftsfonds bis 2030″. Auch die geplanten Schritte zur stärkeren Mobilisierung privaten Kapitals und zur Öffnung institutioneller Investoren für Wagniskapital werden vom Startup-Verband als vielversprechend bewertet.
Erhöhte finanzielle Belastungen
Obwohl der Koalitionsvertrag Startups rhetorisch unterstützt, gibt es mehrere Aspekte, die jedoch für Neugründungen problematisch sein könnten.
Eine signifikante Herausforderung stellt die Erhöhung des Gewerbesteuer-Mindesthebesatzes von 200 auf 280 Prozent dar. Diese Maßnahme erhöht die Steuerbelastung insbesondere für junge Unternehmen, die in der Anfangsphase ohnehin mit knappen finanziellen Ressourcen kämpfen.
Gleichzeitig müssen neue Selbstständige, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem zugeordnet sind, künftig in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Diese zusätzliche finanzielle Verpflichtung kann gerade in der kritischen Startphase eine erhebliche Belastung darstellen, verteuert das Gründen und dürfte manchen Gründer abschrecken. Viele Gründer wollen mit ihrem eigenen Unternehmen ja ausdrücklich den staatlichen Zwangssystemen entfliehen.
Verzögerte Umsetzung wichtiger Entlastungen
Ein wesentlicher Kritikpunkt am Koalitionsvertrag ist die verzögerte Einführung der Unternehmenssteuersenkung, die erst ab 2028 greifen soll. Für junge Unternehmen bedeutet dies, dass sie in den ersten kritischen Jahren ihrer Existenz nicht von dieser Entlastung profitieren können. Der BDI kritisiert nicht nur deswegen, dass die Koalition „steuerpolitisch hinter dem Notwendigen zurückbleibt“.
Strukturelle Probleme der Altersvorsorge
Die Jungen Unternehmer kritisieren den Koalitionsvertrag für „eine zu unambitionierte Rentenpolitik“, die „viele wichtige Zukunftsfragen offenlässt – vor allem bei den Themen Generationengerechtigkeit und nachhaltige Finanzierbarkeit unseres Sozialstaates“. Ohne strukturelle Reformen der Sozialsysteme werden die Sozialbeiträge weiter steigen, was besonders junge Unternehmen mit wachsender Mitarbeiterzahl belastet.
Steuerliche Entlastungen und Investitionsanreize – positive Auswirkungen für bestehende Unternehmen
Etablierte Unternehmen profitieren in mehrfacher Hinsicht von den im Koalitionsvertrag vorgesehenen Maßnahmen.
Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass Unternehmen in den kommenden Jahren einen höheren Prozentsatz ihrer Investitionskosten steuerlich abschreiben können. Dies soll einen „Investitions-Booster“ auslösen, den die deutsche Wirtschaft dringend benötigt. Etablierte Unternehmen mit stabilen Geschäftsmodellen und positiven Cashflows können diese Abschreibungsmöglichkeiten besser nutzen als Startups, die in der Anfangsphase oft noch keine Gewinne erzielen.
Die Senkung der Körperschaftssteuer in fünf Schritten um jeweils einen Prozentpunkt ab 2028 kommt zwar spät, wird aber langfristig vor allem etablierten Unternehmen mit stabilen Gewinnen zugutekommen.
Branchenspezifische Förderungen
Besonders die Autoindustrie erfährt eine gezielte Unterstützung, was CSU-Chef Markus Söder als „ein Bekenntnis, dass wir Autoland sind und bleiben wollen“ betont. Mit verschiedenen Maßnahmen soll die E-Mobilität gefördert werden: Kaufanreize, Befreiung von der Kfz-Steuer, Sonderabschreibungen für E-Fahrzeuge und ein beschleunigter Ausbau der Ladeinfrastruktur. Diese Maßnahmen kommen in erster Linie den etablierten Automobilherstellern und ihren Zulieferern zugute.
Reduzierung regulatorischer Belastungen
Die geplante Abschaffung des Lieferkettengesetzes wird von Wirtschaftsverbänden als „großartige Nachricht“ begrüßt. Vor allem größere, international tätige Unternehmen werden von dieser Entlastung profitieren, während kleine Startups in der Regel ohnehin weniger von den Anforderungen des Lieferkettengesetzes betroffen waren.
Unternehmensnachfolge versus Neugründung: Ein ungleiches Spielfeld
Angesichts der beschriebenen Rahmenbedingungen erscheint die Unternehmensnachfolge gegenüber einer Neugründung zunehmend attraktiver.
Bei der Übernahme eines bestehenden Unternehmens entfällt der komplexe und zeitaufwändige Gründungsprozess. Obwohl der Koalitionsvertrag die Einführung eines One-Stop-Shops vorsieht, der „alle Anträge und Behördengänge auf einer Plattform digital bündelt und eine Unternehmensgründung innerhalb von 24 Stunden ermöglicht“, bleibt abzuwarten, wie schnell und effektiv diese Maßnahme umgesetzt wird. Bei einer Unternehmensnachfolge kann hingegen auf bestehende Strukturen, Prozesse und Kundenbeziehungen zurückgegriffen werden.
Finanzielle Vorteile der Nachfolge
Die Übernahme eines etablierten Unternehmens bietet sofortigen Zugang zu Umsätzen und potenziellen Gewinnen, während Neugründungen oft Jahre benötigen, um profitabel zu werden. Durch die Erhöhung des Gewerbesteuer-Mindesthebesatzes und die verpflichtende Einbeziehung von Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung steigen die finanziellen Belastungen für Gründer. Gleichzeitig können bei einer Übernahme die steuerlichen Vorteile für bestehende Unternehmen, wie erhöhte Investitionsabschreibungen, sofort genutzt werden.
Zugang zu Finanzierungsinstrumenten
Während der Koalitionsvertrag zwar Verbesserungen bei der Startup-Finanzierung vorsieht, wie beim Deutschlandfonds und der Fortsetzung des Zukunftsfonds, bleiben etablierte Unternehmen bei der Kapitalbeschaffung im Vorteil. Banken vergeben Kredite bevorzugt an Unternehmen mit nachgewiesener Geschäftshistorie und positiven Cashflows. Zudem können bestehende Unternehmen einfacher von den geplanten „Beteiligungsmöglichkeiten institutioneller Investoren“ profitieren.
Sofortige Teilhabe an Entlastungen
Übernimmt ein Unternehmer ein bestehendes Unternehmen, kann er sofort von den geplanten Entlastungen bei Energiekosten und vom Bürokratieabbau profitieren. Diese Vorteile wirken unmittelbar auf die Geschäftsentwicklung, während Neugründungen erst Strukturen aufbauen müssen, um vergleichbare Effekte zu erzielen.
Käufer und Nachfolger sind im Vorteil
Der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD schafft trotz seiner Startup-freundlichen Rhetorik ein Umfeld, das die Unternehmensnachfolge gegenüber Neugründungen begünstigt. Die Kombination aus steigenden finanziellen Belastungen für neue Selbstständige bei gleichzeitigen Entlastungen für bestehende Unternehmen schafft Anreizstrukturen zugunsten von Unternehmensübernahmen.
Für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands könnte dies einerseits zu einer Stabilisierung bestehender Wirtschaftsstrukturen führen, andererseits aber auch die disruptive Innovation durch Neugründungen bremsen. Der von Bitkom begrüßte „Meilenstein“ der Einrichtung eines Ministeriums für Digitalisierung und Staatsmodernisierung könnte ein Gegengewicht bilden, wenn es tatsächlich die digitalpolitischen Themen bündelt und als „echter Treiber für die Digitalisierung“ wirkt.
Balance verschiebt zugunsten der Nachfolge
Eine ausgewogene Wirtschaftspolitik müsste sowohl die Unternehmensnachfolge erleichtern als auch Neugründungen attraktiv gestalten. Der aktuelle Koalitionsvertrag scheint jedoch – möglicherweise unbeabsichtigt – die Balance zugunsten der Nachfolge zu verschieben. Für angehende Unternehmer könnte es daher rational sein, bestehende Unternehmen zu übernehmen, statt den riskanteren und finanziell belastenderen Weg einer Neugründung zu gehen.