Schon vor Anbruch des Arabischen Frühlings zeichnete sich ab, dass für Widerstandsbewegungen – von der lokalen Bürgerinitiative bis hin zur nationalen Oppositionsbewegung – ein neues Zeitalter begonnen hatte: Informationen verbreiten, Sympathisanten mobilisieren, Demonstrationen organisieren: Noch nie zuvor war es einfacher, Widerstand zu leisten.
Die Journalisten Matthias Bernold und Sandra Larriva Henaine fragten sich, ob die Existenz von sozialen Online-Netzwerken, die Verbreitung von Mobiltelefonen und der freiere Zugang zum Internet die Menschen zu aktiveren, widerständigeren Bürgern machen? Ob wir von einer Ära der Politikverdrossenheit in eine Ära der Politikbegeisterung wechseln, zu einer demokratischeren Demokratie? Zur Beantwortung dieser Fragen interviewten sie die «neuen Rebellen» – Menschen, die sich zum Aufbegehren entschließen und ihren Widerstand mit neuen Mitteln formulieren.
Zum Beispiel Sarrah Abdelrahman. Es würde zu weit gehen, Videobloggerin Sarrah Abdelrahman als Schlüsselfigur in der Niederwerfung Hosni Mubaraks und Ägyptens Kampf für die Demokratie zu bezeichnen. Sie steht aber stellvertretend für zahlreiche junge Ägypter, deren politisches Bewusstsein während der Proteste erwachte und die mit ihren kleineren und größeren Beiträgen, die Revolution in der arabischen Welt erst möglich machten.
Deniz Tan – Zensorin der Zensoren
Mit der Freiheit des Internets sieht die türkische Regierung als Bedrohung: gut 14 000 Websites ließ sie sperren, YouTube war jahrelang verboten, Wörter landen auf schwarzen Listen. Als sich ankündigte, dass eine neue Gesetzesinitiative den Zugang zum Internet umfassend kontrollieren sollte, löste dies einen Proteststurm aus. Ganz vorne in den Reihen der Protestierenden steht die Werbetexterin Deniz Tan mit ihrer Initiative «Zensiert die Zensur».
Anonymous – Die Rache der maskierten Masse
Wenige Organisationen – wenn man das lose Hacker- Kollektiv «Anonymous» überhaupt so nennen kann – zeigen deutlicher, wie viel Macht Computer-Anwender im Zusammenschluss haben. Anonym, basisdemokratisch, führungslos und kaum kontrollierbar stehen die „Hacktivisten“ für eine neue Form des politischen Widerstands. Wie aber funktioniert die Welt von «Anonymous»? Und wer steckt hinter der maskierten Masse: gefährliche Terroristen, irre Computer-Nerds, oder doch nur ein paar Jugendliche, die Robin Hood spielen wollen?
Birgitta Jonsdottir – Lotsin im Informationsfreihafen
Gegen Intransparenz und Demokratie zersetzende Geheimniskrämerei kämpft die isländische Abgeordnete Birgitta Jonsdottir. Während sich anderswo Regierungspolitiker darüber Gedanken machen, wie sie den Zugang zu Informationen möglichst reglementieren können, geht Island auf Initiative der ehemaligen Wikileaks-Mitarbeiterin den entgegengesetzten Weg: Ein Gesetzespaket soll den Inselstaat zum sicheren Hafen für investigative Journalisten, Whistleblower und Watchdog-Organisationen in der ganzen Welt machen: Zur «Schweiz der Bytes».
Boris Palmer – Prellbock gegen «Stuttgart21»
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer ist das Gesicht der Widerstandsbewegung «Stuttgart21». Mit rhetorischem Talent, fachlichem Wissen und dem geschickten Einsatz von Online-Werkzeugen,kämpft der grüne Politiker zusammen mit Bürgerinitiativen gegen das Bahnhofsprojekt, das für Viele in Deutschland bereits als abgemachte Sache galt. Die Widerstandsbewegung zeigt wie sich durch den Gebrauch neuer Medien die Bevölkerung mobilisieren lässt und eine aktivere Form der Demokratie künftig aussehen kann.
«Twitter hat wahrscheinlich mehr Lob bekommen, als es verdient», sagt etwa die 23-jährige Videobloggerin Sarrah Abdulrahman aus Kairo: «Was sich in Ägypten und im Nahen Osten ereignet, ist keine Internet-Revolution. Weißt du, was wirklich eine Revolution auslöst? Fucking frustration.»
Frust speist immer die revolutionäre Energie. Dem Internet hingegen kommt, wie die Autoren bald feststellten, nicht immer dieselbe Funktion zu. Der bloße Klick auf eine Online-Petition reicht nicht aus, um einen Aufstand zu entfesseln. Das Internet kann mitunter die Hauptrolle spielen.
Denn die heutigen Waffen der Widerständigen – Hacken, Websites lahmlegen, Datenklau – sind Waffen des virtuellen Raums. Offline- und Onlinewelt sind aufs Engste verflochten, sie befruchten einander. Ein Computer, ein Internetanschluss, eine Kamera: Mehr braucht es nicht, um an die Weltöffentlichkeit zu treten.
Die in dem Buch von Matthias Bernold und Sandra Larriva Henaine „Revolution 3.0
– Die neuen Rebellen und ihre digitalen Waffen“ vorgestellten zehn Revolutionäre eint der Mut bestehende Strukturen zu hinterfragen und dagegen aufzubegehren. Sie verbindet der Zugang zu dem mächtigen Instrument Internet. Das Internet kann ein Schlüssel zur Macht der Vielen sein, der sich als gewaltiger Katalysator und Verstärker erweist.
Matthias Bernold/Sandra Larriva Henaine
Revolution 3.0 – Die neuen Rebellen und ihre digitalen Waffen
ISBN 978-3-905795-13-4