Sechs Prozent deutscher Unternehmen an der Börse heute in Zombie-Status
Dunkelziffer im Mittelstand vermutlich höher
Sechs Prozent der deutschen an der Börse gelisteten Unternehmen sind ein so genannter „Zombie“ – also ein Unternehmen, das drei Jahre infolge nicht in der Lage war, aus dem operativen Ergebnis heraus seine Zinsen zu zahlen. Das hat eine aktuelle Untersuchung von mehr als 2.900 an europäischen Börsen gelisteten Unternehmen durch die Unternehmensberatung FTI-Andersch ergeben (ohne Banken und Versicherungen). Die meisten Zombies gab es in Estland (17 Prozent), Griechenland und Portugal (jeweils 14 Prozent).
- Umsätze und Margen in Automobil-Zuliefererindustrie unter Niveau von 2019
- Netto-Schuldenstand im Maschinenbau seit 2019 um 31 Prozent gestiegen, Zombie-Quote seit 2019 verdoppelt: sieben Prozent
- Kostensenkungsprogramme allein werden nicht ausreichen, um aus Zombies wieder vitale Unternehmen zu machen
- In vielen Fällen Senkung der Schuldenlast notwendig
Neun Prozent ‚zombifizierter‘ Unternehmen wurden in Spanien festgestellt. In Belgien und Norwegen sind es acht Prozent, in Italien sieben Prozent. Die geringste Zombie-Quote an Börsenunternehmen haben Dänemark und Polen (jeweils 3 Prozent), Finnland (4 Prozent) und die Schweiz (5 Prozent).
„Deutschland liegt bei der Anzahl der Zombie-Unternehmen an der Börse im europäischen Vergleich in der unteren Hälfte“, sagt Tim Müller, Experte für Restrukturierung bei FTI-Andersch, der auf Restrukturierung, Business Transformation und Transaktionen spezialisierten Beratungseinheit von FTI Consulting in Deutschland und Leiter der Untersuchung. „Öffentliche Unternehmen müssen aufgrund strenger Reporting-Anforderungen sehr frühzeitig über finanzielle Probleme Bericht erstatten – unmittelbare Reaktionen der Börse führen zu frühzeitigen Interventionen. Bei privaten Unternehmen, die oftmals nur einer einzelnen Familie gehören, gibt es diese ausgeprägte Transparenz nicht. Auf Basis unserer Beobachtungen schätzen wir die Quote an Zombie-Unternehmen im deutschen Mittelstand als höher ein. Aufgrund des hohen Anteils der mittelständischen Betriebe am Bruttoinlandsprodukt ist die Situation für Deutschland darum gravierender, als es die Zahlen dieser Analyse vermuten lassen.“
Kernbranchen Automobil und Maschinenbau lassen Rückschlüsse auf Betroffenheit von deutscher Wirtschaft zu
Eine besonders hohe Quote an Zombie-Unternehmen weist die europäische Automobilindustrie auf: Auf Basis der Analyse zählen dort aktuell 14 Prozent zu den Unternehmen, die drei Jahre nicht in der Lage waren, aus dem operativen Ergebnis heraus ihre Zinsen zu zahlen. „Dabei handelt es sich nicht um die teils hochprofitablen Großserien-OEMs, sondern um kleinere Nischenanbieter“, sagt Tim Müller. Im Maschinenbau sind es sieben Prozent der Unternehmen, die sich als Zombie klassifizieren. Leicht höher ist die Quote in der Modeindustrie mit rund zehn Prozent.
Auch die Finanzschulden abzüglich der vorhandenen Bargeldbestände sind in zwei dieser drei Branchen im Vergleich der Jahre 2019 und 2022 (bis Sommer) gestiegen. Im Maschinenbau von 112,8 Mrd. Euro auf 148,3 Mrd. Euro (plus 31 Prozent), in der Modebranche von 52 auf 75 Mrd. Euro (2020 zu 2022). Das ist ein Plus von 43 Prozent. Ein Lichtblick in der Autoindustrie: Hier sind die so genannten ‚Net Debts‘ von 487 Mrd. Euro auf 425 Mrd. Euro gesunken.
„Dass sich die Nettoschulden in der Automobilindustrie verringert haben bei gleichzeitig hoher Zombie-Quote deutet auf ein Ungleichgewicht bei den Marktteilnehmern hin“, sagt Tim Müller. „Das heißt auch: Wer hier zu den Verlierern gehört, den trifft es mit besonderer Härte. Dass im Maschinenbau die Schulden signifikant gestiegen sind, ist ein schlechtes Zeichen für die deutsche Wirtschaft – denn sie verfügt traditionell über die wirtschaftsstärksten Maschinenbauunternehmen in Europa. Nutzt man auch diese Zahlen zur Orientierung für Mittelständler und Familienunternehmen, trübt sich das Bild weiter ein. Hinzu kommt, dass gerade viele deutsche Maschinenbauer in den vergangenen Jahren einen Investitionsstau gebildet haben, den sie in angespannter finanzieller Lage nicht abgearbeitet bekommen – sondern der sich jetzt weiter vergrößern kann.“
Produktive Assets und im Kern funktionierende Geschäftsmodelle müssen erhalten werden – keine Chance ohne unternehmerische Kreativität
Tim Müller sagt: „Eine drohende Rezession, die gestiegenen Zinsen und die zunehmend restriktive Vergabe von Krediten werden vielen Unternehmen mittelfristig weitere Luft zum Atmen nehmen. Zur Wahrheit gehört jedoch auch: Viele der Marktteilnehmer wären ohne die staatlichen Subventionen und eine gesetzliche Aussetzung von Insolvenzantragsfristen in den letzten Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit in der jetzigen Organisationsform vom Markt verschwunden. Auch dieser schmerzliche Prozess gehört zu wettbewerbsorientierten Volkswirtschaften. Wenn Marktteilnehmer in anderen Unternehmen aufgehen oder vom Markt verschwinden, ergeben sich daraus auch neue Chancen für ihre Wettbewerber. Es bleibt zu hoffen, dass regulatorische Eingriffe in den nächsten Monaten die reale Wettbewerbsstärke einzelner Unternehmen und Branchen nicht noch weiter verzerren. Das wirkt sich schlussendlich nachteilig auf jede Volkswirtschaft aus.“
Tim Müller ist der Meinung, dass neun von zehn Zombie-Unternehmen nicht vom Markt verschwinden müssen, wenn es gelingt eine tragfähige Finanzierungsstruktur zu entwickeln und die operative Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. „Es gilt zu prüfen, wo substanziell nach wie vor ein intaktes Geschäft vorhanden ist und wie sich dies weiterführen lässt“, sagt der Berater. „Es gilt die produktiven Assets von so vielen Unternehmen wie möglich zu bewahren – ob sie nun in der bisherigen Unternehmung weitergetragen werden oder in neuer Eigentümerschaft aufgehen. Dabei helfen nicht nur sauber aufgesetzte Sanierungsgutachten, Planungssensitivierung und ein gutes Liquiditätsmanagement. Es bedarf an unternehmerischer Fantasie, neuer Vision und unkonventioneller Ansätze, um wieder neue Perspektiven für Geschäftsmodelle und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufzuzeigen. Das wird die Erlebensrealität vieler Unternehmen im neuen Jahr prägen.“
Quelle: FTI-Andersch