Wo im Gebäude steckt eigentlich die Nachhaltigkeit?
Berlin – Wie bewertet man die Nachhaltigkeit von Gebäuden? Welchen Einfluss haben die einzelnen Bauprodukte für die Nachhaltigkeit eines Gebäudes? Wie können Baustoffhersteller mit Ihren Produkten und Informationen daran mitwirken? Und was macht ein nachhaltiges Hotelgebäude aus? Wie ein Gebäude nicht nur nachhaltig geplant und gebaut, sondern auch betrieben wird, konnten rund 50 Vertreter von Bauprodukt- und Baukomponentenherstellern exklusiv am Beispiel des DGNB-zertifizierten Berliner Scandic Hotel Potsdamer Platz von den beteiligten Experten des Projekts auf Einladung des Institut Bauen und Umwelt (IBU) anschaulich erfahren.
Nachhaltiges Bauen am Objekt erleben – unter diesem Motto lud das Institut Bauen und Umwelt (IBU) in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) seine Mitgliedsunternehmen am 6. Juni nach Berlin ins Scandic Hotel Potsdamer Platz ein. Die Zertifizierung des Scandic Hotels war Teil der Pilotphase für die Erstellung des neuen Nutzungsprofils für Hotels im Jahr 2010. Dabei erreichte das Projekt das beste Bewertungsergebnis innerhalb der Pilotprojekte und erhielt insgesamt die zweithöchste Auszeichnungskategorie der DGNB. „Es ist ein Paradebeispiel für ein nachhaltiges Gebäude – vor allem in der Nutzung“, fasst Mark Kumar Bose, DNGB-Auditor und Geschäftsführer der Masterplan Informationsmanagement GmbH, zusammen.
Grundlage für fundierte Bewertung
„Wir wollten unseren Mitgliedern – Unternehmen und Verbänden aller Arten von Bauprodukten und Baukomponenten die Möglichkeit bieten, ein zertifiziertes, nachhaltiges Gebäude zu erleben und bei der Gelegenheit direkt mit den für Planung, Bau und Betrieb Verantwortlichen in Kontakt zu treten“, begründet Burkhart Lehmann, Geschäftsführer des IBU, die Entscheidung für den Mitgliedertag im Scandic. Die wichtigsten Beteiligten des Projektes – Architekt, Auditor, Gebäudenutzer sowie ein Vertreter der DGNB wurden vom IBU als Experten eingeladen. Sie erläuterten die relevanten Prozesse und Entscheidungen und diskutierten anschließend gemeinsam mit den anwesenden Herstellern diverse Fragen und Problemstellungen. Kernthema der Veranstaltung waren Umwelt-Produktdeklarationen (en: Environmental Product Declarations – kurz: EPDs) und ihre Bedeutung für das nachhaltige Bauen – speziell als Datengrundlage für die Gebäudeplanung, -bewertung und -zertifizierung.
Mit ihren EPDs engagieren sich die Mitglieder des IBU dafür, dass die Informationen über die Umweltwirkungen ihrer Produkte für das nachhaltige Bauen genutzt werden. Dazu betreibt das IBU ein EPD-Programm für Bauprodukte und -komponenten in Deutschland und Europa. Die enthaltenen Informationen in einer EPD basieren auf einer Ökobilanz und werden erst nach erfolgreicher Verifizierung durch unabhängige Dritte vom IBU veröffentlicht. „Wie nachhaltig Bauprodukte sind, hängt vor allem davon ab, wofür sie im Gebäudekontext verwendet werden“, erklärt Lehmann. „Zusammen mit anderen Produkten bilden sie ein System, unterliegen Wechselwirkungen, müssen verschiedene Anforderungen erfüllen – deshalb sind Bewertungen und Vergleiche von Bauprodukten auch erst auf Gebäude- oder Bauteilebene sinnvoll.“ Dementsprechend findet die Nachhaltigkeitsbewertung auf Gebäudeebene statt.
Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) betreibt ein entsprechendes Gebäudezertifizierungssystem, das neben der Ökologie eines Gebäudes auch die ökonomische, technische, soziokulturelle und funktionale Qualität, den Standort sowie die Prozessqualität bei Planung und Bauausführung bewertet. Die Auswahl der richtigen Produkte ist dabei entscheidend. Das gilt vor allem für die technische Gebäudeausrüstung (TGA), die während der Nutzungsphase des Gebäudes großen Einfluss auf die ökologische Performance hat. Das richtige Klimatisierungssystem kann die Energiebilanz eines Gebäudes enorm verbessern. „EPDs für TGA-Produkte können wesentlich dazu beitragen, diesen Einfluss zu erfassen und zu reduzieren“, appellierte Lehmann und erhielt dafür die Zustimmung aller Anwesenden. Leider seien EPDs für TGA-Produkte aber lange noch nicht der Regelfall.
Eine Frage der Haltung
Als DGNB-Auditor war Mark Kumar Bose für die Bewertung des Scandic zuständig. Für die Berechnung der Umweltwirkungen eines Gebäudes sind umfangreiche Informationen notwendig – vor allem über die verwendeten Bauprodukte. „Ich bin froh, dass es EPDs gibt. Sie eignen sich hervorragend, um verifizierte ökobilanzielle Daten zu bekommen“, berichtet Bose.
Außerdem seien sie über Datenbanken wie die ÖKOBAUDAT des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit jederzeit verfügbar. Das macht EPDs zu einer wichtigen und verlässlichen Datengrundlage für die Lebenszyklusanalyse des Gebäudes – und auch für die Planung: „Berechnungen im Nachhinein nützen der Nachhaltigkeit nicht besonders viel“, erklärte Johannes Kreißig, DGNB-Geschäftsführer. „Beim DGNB-System rücken wir deshalb die Planungs- und Bauprozesse stärker in den Fokus.“ Vorzertifikate und Abgabefristen würden deshalb in Zukunft stark an Bedeutung gewinnen. „Für uns ist nachhaltiges Bauen und Betreiben viel mehr als ein Kriterienkatalog. Es ist eine Haltung.“
In diesem Zusammenhang erklärte Heiko Kain vom Scandic Hotel an diversen Beispielen, wie das Hotel betrieben wird und welche Rolle die Nachhaltigkeit dabei spielt. „Wir machen unter anderem sehr viel, um Wasser und Energie zu sparen. Wir arbeiten so papierlos, wie wir können und verzichten vollständig auf Einzelverpackungen, zum Beispiel für Seife und Shampoo. Wir lassen uns auch kein abgefülltes Wasser liefern, sondern filtern das Berliner Leitungswasser, setzen Mineralien zu und füllen es in Karaffen. Und wir arbeiten mit Fernwärme und -kälte.“ Einige Konzepte seien aber auch nicht immer die komfortabelsten: Um Energie zu sparen, lassen sich die Räume im Scandic maximal um acht Grad unter die Außentemperatur herunterkühlen. Um Temperatur und Raumklima dennoch so angenehm wie möglich zu halten, lassen sich die Fenster der Hotelzimmer öffnen und sind außerdem mit einer speziellen Folie beklebt, die das Aufheizen der Räume durch Sonneneinstrahlung verlangsamt. „An besonders heißen Tagen reicht das für manche Gäste allerdings nicht aus und dazu müssen wir dann auch stehen. Bisher haben wir aber fast ausschließlich positive Erfahrungen gemacht. Fast alle Gäste, die unser Konzept kennen lernen, tragen es mit und unterstützen uns.“
Kein teures Extra, sondern neuer Standard
„Die meisten Leute glauben, dass nachhaltig zu bauen teurer ist“, berichtete Hans Dieter Reichel, verantwortlicher Architekt für den Neubau des Scandic Hotels. „Aber erstens stimmt das so pauschal nicht und zweitens steigert eine Zertifizierung – gerade in finanzieller Hinsicht – den Wert einer Immobilie oft enorm.“ Denn Nachhaltigkeitszertifikate seien häufig Alleinstellungsmerkmale, eigneten sich hervorragend für das Marketing und seien für viele Unternehmensgruppen mittlerweile ein entscheidendes Kriterium bei der Auswahl von Immobilien. Zertifizierte Gebäude ließen sich somit deutlich besser vermieten und verkaufen.
Dass ein nachhaltig geplantes, gebautes und betriebenes Gebäude keineswegs teurer sein muss, bestätigte auch Marcel Gröpler, Green Building-Koordinator bei der Lindner Group. „Nachhaltigkeit darf kein Extra sein, für das jemand draufzahlt, sondern muss zum Standard werden. Wir produzieren deshalb all unsere Produkte grundsätzlich so nachhaltig, wie wir können.“ Das sei auch ein wesentlicher Grund dafür gewesen, dass Linder als Generalunternehmer mit dem Innenausbau des Hotels beauftragt wurde. Auch Bose sieht in dem Thema mehr als einen Trend: „Der Nachhaltigkeitsgedanke sorgt für eine tiefgreifende Veränderung in unserer Gesellschaft und Wirtschaft.“ Abschließend stellte Kreißig fest: „Wir sind erst am Ziel, wenn man sich rechtfertigen muss, warum man etwas nicht nachhaltig gebaut hat.“
Aufgrund des überaus positiven Feedbacks plant das IBU bereits eine Fortsetzung der Veranstaltung für 2017, bei der ein tieferer Einblick in das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen für Bundesgebäude (BNB) ermöglicht werden soll. Das BNB wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit betrieben und seine Anwendung auf Bundesbauten ist ab einer Investitionssumme von zwei Millionen Euro verpflichtend.
Quelle: Institut Bauen und Umwelt e.V.