Ein Fahrerassistenzsystem verleitet dazu, sich sorglos auf dem Sitz zu lümmeln. Die Psychologie erforscht solche mentalen Fallstricke des – noch nicht vollständig – autonomen Fahrens: Demnach können wir uns einiges von Piloten abgucken.
Im März 2018 wurde eine Fußgängerin in Arizona beim Überqueren der Straße von einem Testfahrzeug des Fahrdienstleisters Uber erfasst und erlag kurz darauf ihren Verletzungen. Schlagzeilen machte der Vorfall, weil der Wagen vor dem Unfall vom automatisierten System gelenkt wurde: Es darf unter bestimmten Bedingungen eigenständig navigieren, sofern ein Mensch am Steuer die Fahrt durchgängig überwacht. Die Fahrerin soll vor dem Crash allerdings nicht auf die Straße, sondern nach unten geschaut haben – mutmaßlich auf ihr Handy.
Ein solcher Unfallhergang ist symptomatisch für die psychologischen Fallstricke des automatisierten Fahrens. Der automatisierte Fahrmodus, in der Umgangssprache missverständlich »Autopilot« genannt, könne menschliche Schwächen und Fehler wie Leichtsinn und Unachtsamkeit provozieren, erläutert der Psychologe Klaus Peter Kalendruschat von TÜV NORD: „Schon der Begriff Autopilot suggeriert fälschlich, dass keine menschliche Aufsicht mehr nötig ist.“ Je besser die Systeme funktionieren, je seltener also kritische Situationen auftreten, desto mehr wiege sich der Mensch in Sicherheit und vernachlässige seine Pflicht. „Kommt es dann zu einem Unfall, wird die Verantwortung gern dem System zugeschoben.“
Auf deutschen Straßen darf der Mensch die Kontrolle am Steuer aber nur temporär abgeben, so legte es die Bundesregierung 2017 gesetzlich fest. Ist lediglich ein Fahrerassistenzsystem im Einsatz (Level 1 bis 2), etwa zum Einparken oder Spurhalten, darf man sich überhaupt nicht vom Verkehrsgeschehen und der Fahrzeugführung abwenden. Beim hoch- oder vollautomatisierten Fahren (Level 3 und 4) ist das zwar erlaubt, aber unter der Bedingung, die Steuerung wieder zu übernehmen, wenn das System dazu auffordert. Erst bei rundum autonomen Fahrzeugen (Level 5) gelten alle Insassen als Passagiere.
Das Problem sei gerade jene Übergangsphase, „in der es weiterhin eines Menschen bedarf, der die Situation überwacht und manchmal eingreift“, warnen Stephen Casner und seine Kollegen in einem Fachartikel. Der Psychologe erforscht seit fast 30 Jahren bei der US-Raumfahrtbehörde NASA das Zusammenspiel von Mensch und Maschine mit dem Schwerpunkt auf Verkehrssicherheit. Für problematisch halten er und seine Kollegen das neue Rollenverständnis: Beim teilweise automatisierten Fahren sei der Mensch teils schon Passagier, teils aber noch Fahrer.
„Der Paradigmenwechsel muss auch in den Köpfen der Autofahrer und Autofahrerinnen stattfinden“, fordert der Psychologe Kalendruschat von TÜV NORD. Um die neue Doppelrolle und die dafür nötigen Fertigkeiten zu vermitteln – etwa auf ein Signal hin die Rolle zu wechseln –, bedürfe es fachlicher Expertise.
Psychologen der NASA wie Casner und sein Team untersuchen seit langem, wie der Mensch im Cockpit trotz der Vielzahl automatisierter Funktionen ‚on the loop‘ bleibt, also in der Rolle der Aufsichtsperson. Aufmerksam beobachten und sich in kritischen Situationen schnell orientieren: Das sind entscheidende Kompetenzen von Pilotinnen und Piloten. Um im Luftverkehr für Sicherheit zu sorgen, wurden entsprechende psychologische Trainings- und Testverfahren für das Cockpit entwickelt. Sie könnten nun als Grundlage dienen für eine Art ‚Pilotenschein‘ für den Straßenverkehr, der die erforderlichen Fertigkeiten für das automatisierte Fahren vermittelt.
Warum Vorbereitung not tut, verdeutlicht ein vielbeachteter Artikel über die mentalen Hürden auf dem Weg zum autonomen Fahren. Darin schreibt unter anderem Iyad Rahwan vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), Experte für die Kooperation von Mensch und Maschine: „Es ist ein neuer Akteur in der Welt. Erstmals bauen wir Gegenstände, die aktiv und autonom handeln. Menschen haben kein mentales Modell für solche Objekte und wozu diese fähig sind.“
Quelle: TÜV NORD