Familien streben danach Eigentum zu erwerben und dadurch unabhängig zu werden
Die deutschen Familienunternehmer verlassen sich in Sachen Erbschaftsteuer weder aufs Bundesverfassungsgericht noch auf den Bundestag – beziehungsweise fühlen sich von denen schon längst verlassen? – sie haben die Angelegenheit selbst in die Hand genommen. 2014 haben die Schenkungen von Betriebsvermögen um 120,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugelegt. Nachdem auf das verschenkte Vermögen nur 1,6 Prozent Steuern gezahlt werden mussten, haben sich die Familien bei der Nachlassgestaltung offenbar klug angestellt – zum Wohle aller. Voreilig könnte man zwar sagen: Die sichern bloß ihre Pfründe. Einen Schritt weiter gedacht, wird man aber feststellen, sie sichern dabei die Basis, auf dem unser Wohlstand für alle gebaut ist. Wenn bei Unternehmensnachfolgen das Familienvermögen – egal ob Betriebsvermögen oder haftendes und krisensicherndes Privatvermögen – durch Steuern geschmälert wird, dann muss das unweigerlich die Substanz zur Wertschöpfung mindern. Aus produktivem Kapital wird Umverteilungsmasse. Es ist die Gretchenfrage, wo man glaubt, dass das Geld gemeinnütziger angelegt ist: im löchrigen Staatssäckel oder im Vermögen der Familienunternehmer, die nicht in Haushaltsjahren oder Wahlperioden denken, sondern in Generationen?
In der Bundestagsdebatte zur ersten Lesung des neuen Erbschaftsteuergesetzes am 25. September 2015 hat sich deutlich offenbart, wie die parlamentarischen Mehrheiten zu dieser Frage gestellt sind. Wieder einmal durfte man eine ganz ganz große Koalition der Steuereintreiber erleben. Die einen etwas mehr, die anderen etwas weniger, aber dass die Erbschaftsteuer gerechterweise abgeschafft gehört, hat keiner gesagt. Ja nicht einmal der Vorsitzende des „Parlamentskreises Mittelstand“ der CDU/CSUFraktion, Christian Freiherr von Stetten, konnte sich zur Stellungnahme durchringen, dass wenigstens die Besteuerung von Betriebsvermögen kompletter Unsinn ist und eigentlich ohne Wenn und Aber abgeschafft gehört. Sein Fraktionskollege Peter Ramsauer, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses des Bundestags, sieht das anders. Der meint, dass Familienunternehmervermögen sinnvollerweise nicht besteuert werden darf. Aber den hat man in der Bundestagsdebatte nicht reden lassen. Im vorauseilenden Gehorsam der großkoalitionären Diplomatie wird Kreide gefressen. Bei der Union, nicht bei der SPD.
Die SPD holt die großen Keulen der sozialen Gerechtigkeit raus und setzt den Anker für die weiteren Verhandlungen weit links. Der finanzpolitische Sprecher der SPDFraktion, Lothar Binding, erdreistet sich tatsächlich, den Familienunternehmern dieses Landes vorzuwerfen, dass sie sich jetzt endlich auch „fair an der Stärkung der Gemeinschaft beteiligen“ sollen und weil man ja ein so schönes Gesetz gebastelt hat, „dann müssen diese sich [jetzt] auch anstrengen, die Gemeinschaft zu stärken“. Mit Verlaub, eine bodenlose Frechheit. Was glaubt der denn, woher die ganzen schönen Steuern kommen, die gerade die Sozialdemokraten so gerne mit vollen Händen ausgeben? Bitte schön: Wie würde man einen Bauern nennen, der bei einem Stall voller famoser Milchkühe auf keine bessere Idee kommt, als alle kräftig zu treten bevor er ein paar schlachtet? Noch nicht einmal weil er Hunger hat, sondern allein weil er den Hals nicht voll genug bekommt.
Bindings Fraktionskollegin Cansel Kiziltepe ergänzt dann noch eine andere verwerfliche Facette des Familienunternehmertums: „Wenn wir über Erbschaftsteuer reden, dann reden wir über diejenigen, die das Glück hatten, in die richtige Familie geboren worden zu sein.“ Mit der Worthülse Verteilungsgerechtigkeit notdürftig kaschiert will Kiziltepe da en passant das individuelle Glück zur Kategorie der Steuergerechtigkeit erheben. Sie hätte auch gleich offen sagen können, dass ihr die bloße Ungleichheit schon für wohlfahrtsstaatliches Eingreifen genügt. Allein, Frau Kiziltepe ist eine zumindest vordergründig intelligente, türkischstämmige, attraktive junge Frau. Da möchte man doch spontan ausrufen: Gratulation, gleich mehrfach Glück gehabt. Und da sollten wir uns doch auch gleich einmal in ihrer eigenen Gerechtigkeitslogik Gedanken machen, wie sie dem Gemeinwesen diese glücklichen Ungleichheiten steuerlich entgelten könnte.
Und dabei hinkt der Vergleich zwischen dem Glück der Geburt in einer vermögenden Familie und dem Glück von Schönheit und Intelligenz oder Gesundheit sogar noch. Denn die Erben haben es sich zwar tatsächlich nicht aussuchen können, wohinein sie geboren wurden, aber die Erblasser. Die Erblasser haben dieses Glück geschaffen, erarbeitet und erspart. Das ist nicht vom Himmel gefallen (wie hübsche schwarze Locken). Wenn man nicht auf Teufel komm raus, um einen Besteuerungsgrund zu konstruieren, Erblasser und Erben auseinanderdividieren müsste, und ein Vermögen als das Ergebnis eines generationenübergreifenden Wirkens aller oder wenigstens vieler Familienmitglieder sehen würde – was es vielfach ist – dann bleibt da wenig Glück, das dahintersteckt. Aber so gut wie immer Schweiß, oft Klugheit und meistens auch einiges an Verzicht.
„Ich will mich aus eigener Kraft bewähren, ich will das Risiko des Lebens selbst tragen, will für mein Schicksal selbst verantwortlich sein. Sorge du, Staat, dafür, dass ich dazu in der Lage bin“, so hat Ludwig Erhard das Prinzip der Subsidiarität beschrieben. Die Familie ist die grundlegendste, allererste Organisationseinheit des gesellschaftlichen Miteinanders als Träger dieses Prinzips. Teil einer Familie zu sein, ist kein Glück oder Unglück, sondern Resultat der Bereitschaft, den gesellschaftstragenden Auftrag der sozialen Marktwirtschaft zur eigenverantwortlichen Daseinsvorsorge anzunehmen.
Weil Familien eigentlich schon aus evolutionärer Prägung zutiefst bereit sind, genau diesen Auftrag zur selbständigen Zukunftssicherung zu tragen, sind sie von jeher ein Feindbild des Kollektivismus. Das Streben nach möglichst weitgehender Enteignungen von Erbschaften – qua Verteilungsgerechtigkeit – ist deshalb ein weiterer, kaum verhohlener Versuch, die Familien als eigenständige subsidiäre Einheiten des Gemeinwesens auszuschalten. In einer freiheitlichen Ordnung ist die Familie die natürliche zentrale ver- und vorsorgende, wirtschaftstragende und kulturschaffende Instanz. Wie gesagt, damit ein Dorn im Auge des sozialistischen Denkens – in dessen Tradition sich die SPD laut ihrem Parteiprogramm sieht. Erbschaft- und Schenkungsteuer sind Hammer und Sichel am Fundament der Familien. Geht aber die Eigenständigkeit der Familien verloren, wird schließlich auch jede Wertevermittlung staatlich übernommen. Bis zu einem Ministerium der Wahrheit ist es dann nicht mehr arg weit.
Ein weiter Bogen. Aber meine wichtigste Lehre der liberalen Schule, namentlich vom großen Frédéric Bastiat, ist, man muss die Sachen zu Ende denken. Auch wenn hier sicher nicht genug Raum war, alle Facetten und alles ausreichend tief darzustellen: Zu Ende gedacht, gehört die Erbschaftsteuer abgeschafft. Für mehr Wohlstand für alle.
Quelle: Liberale Vereinigung e.V.