In den vergangenen beiden Jahren schaffte es eine Meldung in schöner Regelmäßigkeit an die Spitze des Meldungs- und Meinungssturms. Ja, die Meldungen über die Endlosrettung Griechenlands, den syrischen Bürgerkrieg und seit diesem Jahr auch die „Flüchtlinge“ gehören in diesem illustren Kreis, wir aber reden von den deutschen Steuereinnahmen. Diese eilten von Rekord zu Rekord.
Während der Rest der EU-Länder immer tiefer im Teufelskreis der Krise, bestehend aus lahmender Wirtschaftsentwicklung, hoher Arbeitslosigkeit, wegbrechenden Steuereinnahmen und mehr oder weniger großen Sparanstrengungen versanken, war Deutschland der Fels in der Brandung. Stabile Wirtschaftszahlen, relativ geringe Arbeitslosigkeit – wobei die Betonung angesichts von rund drei Millionen Arbeitslosen auf „relativ“ liegt – und in der Folge Steuereinnahmen auf Rekordhöhe. Sogar einen ausgeglichen Haushalt bekam Wolfgang Schäuble hin. Ein finanzpolitisches Wunder, das 45 Jahre lang keinem Finanzminister mehr gelungen war. Franz Josef Strauß selig konnte sich dieses Ruhmesblatt zuletzt 1969 ans Revers heften. Allerdings zu einer Zeit, als Gelddrucken noch nicht zum üblichen Repertoire der Staatsfinanzierung gehörte, eine EU-Transferunion völlig undenkbar war und es zum ökonomischen Grundwissen gehörte, dass jede Mark, die man ausgibt, zuvor irgendwie verdient worden sein muss. Insofern also: Chapeau, Herr Schäuble.
Angesichts der immer höher sprudelnden Steuereinnahmen zeigte sich der oberste Kassenwart Deutschlands sogar optimistisch, dass in absehbarer Zeit die größte Volkswirtschaft der EU die Euro-Stabilitätskriterien wieder erfüllen könnte. Deutschland würde damit in einen recht exklusiven Kreis aufsteigen, denn derzeit erfüllen wohl nur Finnland, die baltischen Staaten und Luxemburg die MaastrichtKriterien. Allerdings droht der Überflieger Schäuble zu Ikarus zu werden. Am rosaroten Himmel ökonomischer Prosperität, in den Schäuble immer höher aufsteigen möchte, sind tiefschwarze Wolken aufgezogen.
Für das kommende Jahr fällt die Steuerschätzung plötzlich um 5 Milliarden niedriger als ursprünglich angenommen aus. Aber nur die Ruhe, war alles erwartet worden, hört man aus dem Bundesfinanzministerium. Ob auch die seit Sommer plötzliche Schwäche der chinesischen Wirtschaft erwartet worden war, wissen wir nicht. Da aber die dortigen Genossen ihr Wirtschaftsmodell umbauen wollen – mehr Binnen- und weniger auf Importen beruhender Konsum sowie ein deutlicher Ausbau der heimischen Hightech-Industrie – wird der dortige Absatzmarkt zu einem steinigen Feld für die hiesigen Exportweltmeister werden. Dies dürfte sich auf die Einnahmen der Unternehmen und damit auf deren Steuerzahlungen niederschlagen.
Auch wissen wir nicht, ob das Bundesfinanzministerium die VW-Krise erwartet hat. Ganz ausschließen kann man es sicherlich nicht, schließlich ist der Wolfsburger Familienbetrieb zu einem guten Fünftel in Staatshand. Wir hoffen es allerdings nicht – ansonsten kommen die großen Anwaltskanzleien in New York am Ende noch auf die Idee, die Bundesrepublik wegen Beihilfe zum Betrug zu verklagen. Das wiederum würde, und hier wissen wir es sehr genau, teuer werden. Dabei hinterlässt die Krise des ehemals größten Autobauers der Welt schon jetzt deutliche Bremsspuren. Bisher steuerten die Wolfsburger zuverlässig rund 1,5 Milliarden Euro Einnahmen zu Schäubles Steuertopf bei, damit dürfte es nun vorbei sein. Da sich zudem andeutet, dass VW nicht nur bei der Berechnung der Abgaswerte seiner Dieselfahrzeuge in den USA weniger elegant mogelte als beispielsweise die Konkurrenz von GM, sondern auch bei den Benzinern und zu allem Überfluss nicht nur in der neuen, sondern auch in der alten Welt, könnte das Unternehmen plötzlich ein Fall für die Staatsfürsorge werden. Das ist zwar nichts Neues für hiesige Autobauer, käme jetzt aber zeitlich etwas ungelegen. Zudem wäre eine staatliche Rettung von VW sicherlich nicht so schnell und so „günstig“ abgetan wie weiland die Abwrackprämie oder die Opelrettungen.
Dass Schäuble zudem seine Planungen nur für die nationalen Ausgaben abgeschlossen hat, nicht aber für die Aufwendungen an die EU bzw. die europäischen Sorgenkinder, hat seinen Grund und spiegelt das Verantwortungsbewusstsein unseres Finanzministers wieder. Die laufende Insolvenzverschleppung Griechenlands hat erst kürzlich wieder mehr Geld erfordert als ursprünglich geplant und man darf annehmen, dass sich dieses Spiel auch im nächsten Jahr fortsetzen wird. Zudem steigen auch sonst die Kosten in Brüssel. Satte 12 Milliarden Euro mehr als erwartet müssen beispielsweise für die Pensionen der EU-Bürokraten für das vergangene Jahr aufgewendet werden. Da ist es schon vernünftig, besser mit gar keinen Zahlen aufzuwarten und einfach auf die Rechnung aus Brüssel zu warten.
Wolfgang Schäuble konnte sich zwar angesichts der Rekordsteuereinnahmen nicht zu echten Entlastungen für die Bürger durchringen, beispielsweise die Abschaffung des Solidaritätszuschlags oder der Erbschaftssteuer oder der kalten Progression, aber einige hübsche Wahlgeschenke gab es dann doch. Die allerdings drohen dem Finanzminister nun wieder vor und vielleicht sogar auf die Füße fallen. Die Diätenerhöhung, die sich die Parlamentarier dabei selbst schenkten, fiel zwar mit insgesamt rund 6 Millionen Euro p.a. für die 589 Bundestagsabgeordneten durchaus großzügig aus, aber in absoluten Zahlen sind es „Peanuts“ im Vergleich zu anderen plötzlich aufgetretenen Ausgaben.
Allen voran ist natürlich die für die Bundesregierung völlig „unerwartet“ aufgetretene neue Völkerwanderung ein herber Schlag ins Kontor. Mit 20 Milliarden Euro Mehrkosten rechnet der Bundesfinanzminister und hofft darüber hinaus, dass 2016 weniger „Schutzsuchende“ kommen werden. Da aber hat er die Rechnung ganz sicher ohne den Wirt bzw. die Schutzsuchenden gemacht. Denn zum einen kalkuliert der Finanzminister immer noch mit 800.000 Menschen, die in diesem Jahr insgesamt nach Deutschland kommen werden, obwohl alles darauf hindeutet, dass es bestenfalls die doppelte Zahl an Menschen sein wird, die dann auch die doppelten Kosten verursachen werden. Zum anderen werden die Menschen in der 3. Welt die Aussagen von Mutter Merkel, so der Ehrentitel der Kanzlerin zwischen Bamako und Kabul, sicherlich nicht einfach am Silvesterabend 2015 vergessen: „Keine Asyl-Obergrenzen, jeder ist willkommen, wir schaffen das“, dazu die Gerüchte, es gäbe Häuser, Geld, Arbeit, Ausbildung für jeden und nicht zuletzt Frieden und Freiheit in jenem paradiesischen Land namens Deutschland. Da zu hoffen, dass der Zustrom aus den Armenhäusern der Welt nachlassen werde, übertrifft sogar noch die Naivität der Kanzlerin und der Teddybär-bewehrten Bahnhofsjubler.
Wie soll das eigentlich alles gut gehen, wenn zeitgleich für die völlig marode deutsche Infrastruktur, also für die physische Basis unseres Wohlstands, gerade einmal rund 10 Milliarden Euro bis 2019 mehr ausgegeben werden sollen und laut ADAC diese Summe pro Jahr nötig wäre? Geradezu grotesk wird es aber, wenn Bundesinnenminister Thomas de Maiziere fordert, das Bildungsniveau, also das nichtmaterielle Fundament unseres Wohlstands, solle um der besseren Integration der Einwanderer willen „kurzfristig“ abgesenkt werden. Nicht nur begräbt der Bundesinnenminister damit – vermutlich ohne das es ihm bewusst ist – das Märchen von den einwandernden Facharbeitern, er gesteht auch seine völlige Inkompetenz ein: Wem die Integration der Zuwanderer ernsthaft am Herzen liegt, der würde auf die bestmöglich Ausbildung pochen und besonders hohe Standards fordern. Hilfsarbeitern, die kaum des Lesens und Schreibens mächtig sind, ein Ingenieurdiplom zu schenken, ist nur in der Gedankenwelt der Politiker vom Format eines Thomas de Maiziere die Antwort auf den angeblich herrschenden Fachkräftemangel und ein Mittel zur Integration. Darüber hinaus wird sich eine (weitere) Absenkung des Bildungsniveaus, so kurzfristig sie auch geplant sein mag, nicht mehr rückgängig machen lassen. Der Wissenschafts-, Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland würde damit endgültig von den aufstreben Staaten Asiens sowie den USA abgehängt werden.
Man mag sich da fragen, wo denn das Geld die für all die schönen EURettungsprogramme, die Renten der EU-Bürokraten, Konzernrettungen usw. herkommen soll, wenn die deutsche Infrastruktur weiter verkommt und künftige Akademiker selbst ihren Namen nur noch mit viel Glück richtig schreiben können. Wer genau hinhört, hört vielleicht zwischen dem Räuspern und Hüsteln der Verantwortlichen die Worte „Mario Draghis Druckerpresse“.
Konstatieren wir also: Wenn es schon in den fetten Jahren weder gewollt noch angestrebt wurde, die Bürger deutlich zu entlasten, die Ausgaben klar zurück zuschrauben und das wuchernde Krebsgeschwür „Staat“ auf seine Kernaufgaben zurechtzustutzen, wird dies in den auf uns zukommenden mageren Jahren erst recht nicht geschehen. Stattdessen „darf“ sich der Bürger mental schon einmal auf höhere Steuern, mehr Abgaben, weitere Solidaritätsbeiträge im Namen der EU oder der eingewanderten Neubürger sowie eine Kürzung der staatlichen Leistungen in den Bereichen Infrastruktur und Bildung einstellen. Da all dies nicht ausreichen wird, die staatlichen Begehrlichkeiten zu befriedigen bzw. letzteres die Einnahmen langfristig eher sinken lässt, wird die Politik verstärkt auf ihr Lieblingsinstrument der Besteuerung zurückgreifen: Die Inflation.
Text: Dagmar Metzger und Steffen Schäfer, Liberale Vereinigung