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MenschMaschine-Visionen: Technik, die unter die Haut geht

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Soll Technik den Menschen perfektionieren? Die Verschmelzung von Mensch und Maschine steht heute beim 18. Berliner Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung im interdisziplinären Brennpunkt. Experten aus Medizin und Neurowissenschaften, Technik und Recht sowie Ethik und Philosophie nehmen Neuroimplantate, Neuroprothesen oder Eingriffe ins Gehirn unter die Lupe. Technische Geräte, die im menschlichen Körper implantiert und mit dem Nervensystem verbunden sind, eröffnen neue Dimensionen für moderne Diagnose- und Therapieverfahren. Aber verändern sie unser Selbstverständnis als Menschen? Wissenschaftlicher Leiter ist Prof. Dr. Thomas Stieglitz vom Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg – ein Spezialist für Human Enhancement, also die Verbesserung menschlicher Fähigkeiten mit technischen Mitteln.

Quelle: Daimler AG
Quelle: Daimler AG

Stiftung: Sie sind Ingenieur und arbeiten an der Schnittstelle zwischen Technik, Medizin und Ethik. Wie sind Sie dazu gekommen?

Stieglitz: Biologie und Physik faszinierten mich schon in der Schule. Über meinen Einsatz im Rettungsdienst bekam ich Kontakt zur Medizin und erfuhr die seelische Belastung chronisch erkrankter Patienten. Daraus entstand meine Motivation, Technik für den Menschen zu entwickeln.

Stiftung: Human Enhancement oder die Verbesserung des Menschen wirft neue Forschungsfragen auf. Welche Spezialisten sind aus heutiger Sicht am dringendsten gefragt?

Stieglitz: Prinzipiell alle – ob Mediziner, Techniker, Biowissenschaftler, Juristen, Betriebswirtschaftler oder Philosophen. Am wichtigsten erscheinen mir dabei jedoch ein Verständnis füreinander, ein Interesse am Fachbereich des Gegenübers sowie Kreativität, die nicht durch Hierarchien ausgebremst wird. Dazu sind Offenheit und Mut vonnöten. Nur so können Innovationen, die dem Menschen helfen sollen, ihren Weg in die Praxis finden. Oftmals entscheiden nämlich ganz einfache Fragen über Erfolg und Misserfolg einer neuen Technologie – etwa ob es gelingt, ein Kabel an einem Gehäuse stabil zu befestigen.

Stiftung: Eingriffe ins Gehirn sind mit Ängsten verbunden und können Persönlichkeitsveränderungen mit sich bringen. Wie kann der Einzelne, wie kann die Gesellschaft damit umgehen?

Stieglitz: Allen Beteiligten muss klar sein, dass jeder Patient ein Einzelfall mit unterschiedlich ausgeprägtem Leidensdruck ist. Über einen Eingriff ins Gehirn muss daher stets individuell entschieden werden. Als Gesellschaft müssen wir uns ganz grundsätzlich Gedanken darüber machen, was erwünscht, was ethisch vertretbar ist, und ob unsere Gesetze ausreichen – etwa in Bezug auf die persönliche Schuldfähigkeit. Denn Paradoxien wie in „Gibt es Sie, Mr. Johns?“ des Science-Fiction-Autors Stanislaw Lem, wo der Mensch mehr und mehr zum Kunstprodukt wird, entstehen nicht erst in ferner Zukunft, wenn vielleicht vollständige Cyborgs erschaffen sind!

Stiftung: An welcher Stelle endet Ihr Vertrauen in die Technik bzw. was limitiert Ihrer Ansicht nach die Wissenschaft bei der Verbesserung menschlicher Fähigkeiten?

Stieglitz: Es wird wohl nicht möglich sein, bei einer Querschnittslähmung alle Nervenfasern zu verbinden, so dass die Betroffenen wieder ohne Einschränkungen laufen können. Aber, um Ängste vorweg zu nehmen: Wir werden genauso wenig das Gehirn so gut verstehen können, dass der Mensch vollständig virtualisiert, also zum Kunstprodukt bzw. Cyborg wird. Trotz aller Unterstützung durch Techniken und Technologien ist im Endeffekt nur der Mensch in der Lage, sinnvolle Entscheidungen unter unsicheren Bedingungen zu treffen. Darin ist nur er wirklich gut und hier zeigen sich die Grenzen der Wissenschaft.

Stiftung: Was zum Nutzen des Menschen gedacht ist, kann ihm aber auch Schaden zufügen. Wie hoch schätzen Sie das Missbrauchsrisiko ein?

Stieglitz: Natürlich können solche medizinisch-technischen Eingriffe destruktiv eingesetzt werden und das wird auch geschehen – zum Beispiel für militärische Anwendungen, wenn gesunde Menschen technisch „verbessert“ werden. Dringend erscheint mir vor diesem Hintergrund vor allem eine ehrliche Aufklärung der Gesellschaft über Gefahren und Möglichkeiten durch Human Enhancement. Ich wünsche mir begleitend dazu einen öffentlichen Diskurs mit dem Ziel, vielleicht in der einen oder anderen Frage einen gesellschaftlichen Konsens herstellen zu können.

Stiftung: Wie lautet Ihre persönliche Zukunftsperspektive für das Jahr 2030 und was erhoffen Sie sich?

Stieglitz: Ich denke, dass wir das Leiden vieler Menschen durch die Verbesserung etablierter Therapien in den kommenden Jahren weiterhin mildern oder in bestimmten Fällen sogar ganz nehmen können. Gleichzeitig hoffe ich insgesamt auf ein pragmatisches und ergebnisorientiertes Vorgehen und dass sich in unserem Fachgebiet nicht auf jeden technologischen Hype, wie zum Beispiel die Nano- oder Pikotechnologie, gestürzt wird. Denn die meisten Prozesse im Körper laufen elektrisch ab. Wir müssen die offenen Fragen klären – etwa zu Gehäusen, Leitungen oder Mehrkanalsteckern –, damit innovative Hilfsmittel sicher, dauerhaft und stabil arbeiten und wirken können.

Stiftung: Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich?

Stieglitz: Wir sind in Forschung und Industrie sehr gut aufgestellt. Bereits seit über fünfzig Jahren ist Deutschland Weltmarktführer in der Prothetik, Stereotaxie oder Neurologie. Daraus erwächst die Verpflichtung, den Erkenntnisgewinn weiter voranzutreiben und unsere Hightech-Medizin dabei gerecht über den Globus zu verteilen.

Stiftung: Warum engagieren Sie sich beim Berliner Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung?

Stieglitz: Es ist an der Zeit, dass Human Enhancement in all seinen Facetten eine öffentliche Sichtbarkeit erlangt. Das Berliner Kolloquium stellt eine geeignete Plattform dar, auf der wir uns dem Themenfeld fachübergreifend und neutral einen Tag lang widmen können. Für den gesellschaftlichen Diskurs erreichen wir nicht nur Fachpublikum, sondern zugleich die interessierte Öffentlichkeit.

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