E-Commerce-Tag Berlin: Wer austauschbar ist, wird ausgetauscht
Berlin – Steigende Kosten für die Neukundengewinnung bei steigenden Ansprüchen der Käufer: Der Online-Handel ist komplexer geworden. Rund 120 Händler und Dienstleister haben sich am 2. Juli auf dem E-Commerce-Tag in Berlin getroffen, um die Folgen zu diskutieren. Ein Ergebnis: Um zu bestehen oder gar zu wachsen, müssten sich Geschäftsmodelle und bisherige Denkweisen wandeln. Hartmut Deiwick, kaufmännischer Leiter der Online-Apotheke Aponeo: „Händler haben immer schon nur dann überlebt, wenn sie Lust auf Veränderung hatten.“ Sowohl der stationäre Handel als auch der E-Commerce selbst hätten die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft noch längst nicht ausreichend angenommen. „Warum sind denn die Menschen alle bei Google, Apple, Facebook und Amazon? Weil das Unternehmen sind, die sehr früh Trends erkannt haben, und weil sie dauerhaft innovativ sind.“ Mittlerweile spiele auch Bequemlichkeit und Vertrauen eine Rolle. Man habe seinen Account bei Amazon, man will sich nicht dauernd in neuen Shops registrieren, die man nicht kennt. Die Kunden später vom Amazon-Marktplatz auf den eigenen Shop zu locken – das sei oft nicht möglich, so dass Amazon aus Händlersicht eine ambivalente Rolle spiele. „Die Unternehmen zahlen auf die Marke Amazon ein, nicht auf die eigene Marke.“
Auch Google sei aus Händlersicht differenziert zu werten: „So mutig und kreativ das Unternehmen ist, so sehr ist es längst dabei, die Marktstellung auszunutzen.“ Die Werbekosten für Online-Kampagnen stiegen teilweise rapide, für Händler rechne sich die Neukundengewinnung über Google nur noch bedingt. Da es keine nennenswerten Alternativen gebe, würden die Unternehmen abseits der großen Player immer mehr zu Getriebenen. „Deshalb ist die Kundenbindung der Schlüssel zum Erfolg“, sagt Deiwick. Ihn zu halten oder zurück zu gewinnen, das sei bislang nicht die Stärke der E-Commerce-Unternehmen. Damit sich das ändere, müssen die Händler den Kunden und seine Ansprüche besser kennen. Viele Unternehmen setzen auf die automatisierte Auswertung des Käuferverhaltens. Andere suchen den direkten persönlichen Kontakt – und wollen stationäre Verkaufsflächen zusätzlich zum Online-Shop. Silke Kamchen ist hier ein Beispiel. Sie hat Zellmops gegründet – einen Versandhandel für Stilltücher, handgemacht in Berlin – und später einen Laden eröffnet, ebenfalls in Berlin. „Es hat uns an Kundennähe gefehlt“, so Kamchen. Vor-Ort-Austausch, Input von den Leuten, Informationen zum Produktlebenszyklus – darum gehe es, und zwar von Angesicht zu Angesicht. Und: „Man muss zeigen, welche Menschen hinter einer Firma stehen. Das geht natürlich virtuell. Aber vor Ort ansprechbar zu sein, das hilft vielleicht noch mehr.“ Auch Kamchen diskutiert die steigenden Preise für die Neukundengewinnung, und dass man sich immer wieder an neue Situationen anpassen müsse. „Wer sich als Händler nicht weiterentwickelt, kann einpacken. Spätestens dann, wenn sich die Kunden weiterentwickeln und der Händler zurückbleibt.“
Ein Feld, in dem sich die Ansprüche bereits deutlich weiterentwickelt haben, ist die Zustellung der Ware. „Der Kunde will sein Paket optimal in den Tagesablauf integrieren. Er muss Zeitpunkt und Ort, wann und wo ein Paket ankommt, dirigieren können“, sagt Michael Lück. Er ist Abteilungsleiter Online Vertrieb beim Paketversender Hermes. Zudem schließe der Kunde vom Paket immer auch auf den Shop: „Eine verlässliche Zustellung zeigt, dass auch der Händler verlässlich ist.“ Umgekehrt gelte: „Wenn ein Paket nicht pünktlich kommt, wenn es gar nicht kommt oder die Ware beim Transport kaputt geht, dann bestelle ich beim nächsten Mal woanders.“ Dennoch werde die Zustellung im E-Commerce von den Händlern noch nicht ernst genug genommen. „Die Lieferung an den Kunden zählt zu den sieben großen Erfolgsfaktoren im E-Commerce. In der Praxis ist die Logistik oft noch eher siebtes Rad am Wagen.“ Dabei lägen in der Zustellung durchaus Potenziale für Online-Händler, sich unterscheidbar zu machen. Aponeo beispielsweise setzt auf besondere Lieferservices wie eine Zustellung noch an dem Tag, an dem der Kunde bestellt hat, sowie auf die Lieferung zu Zeiten, die der Kunde wählen kann. „Es gibt nur eine Handvoll Shops, die die taggleiche Zustellung anbieten“, sagt Deiwick. Ein Grund dafür: Es fehle den Händlern an Mut, neue Dinge zu probieren. Fehlenden Mut könne sich auf Dauer aber keiner leisten. „Wer als Händler nur das macht, was alle machen, ist nicht relevant. Händler, die austauschbar sind, werden auch ausgetauscht“, so Hartmut Deiwick.
Das Fazit von Georg Wittmann, Projektleiter beim Veranstalter ibi research: „Der E-Commerce ist heute natürlich reifer, bietet aber immer noch Chancen. Sofern die Unternehmen ihre Kunden verstehen. Um die so genannte Customer Journey kommt niemand mehr herum.“ Auffallend sei zudem, dass immer mehr Themen aus dem B2C-Bereich auch im B2B zu finden seien. Als Beispiel nennt er Online-Bezahlvorgänge. Im B2C würde viel Energie darauf verwendet, die Handhabung für den Privatkunden zu vereinfachen. Ähnliches sei auch bei Bezahlvorgängen zwischen Unternehmen zu beobachten.
Der E-Commerce-Tag findet jährlich statt. In diesem Jahr wurde er unterstützt von der IHK Berlin, der Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH und eBusiness Lotse, einem Informationsbüro für Unternehmen in Berlin.