Neulich, bei einer Sitzung in einem großen deutschen Finanzinstitut: „Ja, Herr Soundso hat das entschieden, aber er wurde von seinem Team zurückgepfiffen. Das Team war nicht einverstanden mit der Entscheidung.“ Noch vor wenigen Jahren war eine solche Nachricht undenkbar, zumal in einer so konservativen Branche. Heute aber rollt eine Welle der Veränderung übers Land, deren Essenz u.a. die IHK Frankfurt unter der Überschrift „Den Kulturwandel gestalten“ in einem Leitartikel auf den Punkt gebracht hat (03/2014): „Statt ‚Jeder für sich‘ heißt es in der Netzwerkorganisation ‚Alle für einen‘. Bereichs- und funktionsübergreifend für ein gemeinsames Ziel zu arbeiten, motiviert die Mitarbeiter und aktiviert ihre Talente.“
Märkte und Medien machen Druck
Der Hintergrund ist, wie so oft bei radikalen Veränderungen im Wirtschaftsgeschehen, die schiere Notwendigkeit: Globalisierung und technischer Fortschritt können in herkömmlichen Top-Down-Prozessen mit ihren langen Abstimmungswegen und festgefügten, oft konkurrierenden Zuständigkeitsbäumen nicht mehr in der nötigen Geschwindigkeit abgebildet werden. Auch wenn die menschliche Einsicht Albert Schweitzer folgt: „Das Heil der Welt liegt nicht in neuen Maßnahmen, sondern in einer anderen Gesinnung.“ – der Druck zum Handeln kommt von außen. Dieses Außen sind zum einen Absatzmärkte und Kunden, zum anderen der „war for talents“, der Wettbewerb um Köpfe, Fähigkeiten und nicht zuletzt die bessere Motivation.
Hinzu tritt als intrinsischer Entwicklungstreiber der Einfluss der Sozialen Medien. So wies schon Anfang 2013 eine Bitkom-Studie nach: „Der Einsatz von Social Media löst in vielen Hightech-Unternehmen einen Kulturwandel in Richtung einer offeneren Kommunikation aus.“ Und weiter: „Das Teilen von Informationen wird selbstverständlich, Herrschaftswissen wird aufgelöst. (…) Teams erzielen bessere Arbeitsergebnisse, Mitarbeiter beteiligen sich stärker an Entscheidungsprozessen und die Innovationskraft der Unternehmen steigt.“ Damit tragen die Sozialen Medien „entscheidend zum Geschäftserfolg bei.“
Was 2012/13 noch für Technologieunternehmen galt, hat sich heute in sämtlichen Branchen ausgebreitet: Führungskräfte aller Ebenen sind es, die den Wandel hin zu demokratischen, flexiblen, netzartigen Strukturen fordern, so die Studie „Gute Führung“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales im September 2014.
Mitnehmen und motivieren – nach wie vor wichtige Führungsaufgaben
Das Ergebnis ist im Idealfall eine Aufbruchsstimmung, in der selbst altehrwürdige Finanzkonzerne sich plötzlich wie Start-ups aus dem Silicon Valley verhalten, Querschnittsteams aus verschiedenen Abteilungen an innovativen Projekten feilen und ein Teamleiter „zurückgepfiffen“ werden kann, wenn seine Entscheidung den Mehrheitskonsens übergeht oder nicht widerspiegelt. Im Kern geht es hier darum, Ideen und Entscheidungen möglichst nah an Basis und Praxis zu halten, statt sie einsamen Herrschern in entrückten Chefetagen zu überlassen.
Motivation und Schaffensfreude entstehen in einem solchen, demokratisch organisierten System zuallererst durch die direkte Bestätigung in der Arbeit. Die eigene Kompetenz wird ausgeschöpft. Aufgaben gewinnen wieder einen Sinn, Prozesse werden überschaubar. Entscheidungen, die man früher mit dem Hut in der Hand vom Herrn Direktor empfing, trifft man heute selbst. Unterstützend dazu nutzen immer mehr Unternehmen die Begleit-Instrumente, die Berater und Personalfachleute entwickelt haben, um den Übergang zum Neuen für alle so positiv wie möglich zu gestalten. Dazu gehören Teamseminare und -Coachings, aber auch konkrete Anreize, die durch ihre „demokratische“ Wahlfreiheit zum Ziel der Maßnahmen passen. Ein Beispiel sind flexibel einsetzbare Essens- oder Einkaufsschecks, die das einheitliche Kantinenessen oder die von der Chefsekretärin ausgesuchte Sachprämie ersetzen.
Die neue, demokratische Unternehmenskultur bietet also – neben dem unabdingbaren Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit – eine große Zahl von Vorteilen und Annehmlichkeiten. Dabei sollten aber die „alten Haudegen“ nicht vergessen oder gar durch Frühpensionierung abgeschoben werden. Ihre Erfahrung ist eines der wertvollsten Kapitale, die ein Unternehmen ins Feld führen kann. Diese Mitarbeiter in die neue, lebendige Arbeitswelt mitzunehmen, ist momentan eine der wichtigsten Führungsaufgaben.