Nach dem Tianjin-Unfall: Lieferketten bleiben vorerst stabil
Frankfurt – Rund eine Woche nach dem verheerenden Unfall im Hafen der chinesischen Stadt Tianjin scheinen sich die ersten Wogen in den Lieferketten wieder zu legen. „Die Lage hat sich etwas beruhigt“, sagte am Freitag Anton Pietsch, Leiter des BME-Büros in Shanghai. Er berichtete davon, dass die mit ihm in Kontakt stehenden Unternehmen noch keine Beeinträchtigungen ihrer Geschäftsaktivitäten gemeldet haben. Dies deckt sich mit der Recherche des BME im heimischen Verbandsumfeld. Konzernsprecher und Verantwortliche von Volkswagen, Continental, SEW Eurodrive und Grammer bestätigten, dass es aufgrund des Unfalls entweder gar nicht oder nur zeitweise zu Produktionsproblemen gekommen ist. Auch die Lieferketten seien bisher nicht gerissen. Einzelne Firmen verwiesen zwar auf leichte Schäden an Gebäuden. Sofern überhaupt beeinträchtigt, konnten die Werke ihre Arbeit aber allesamt wieder aufnehmen. Transporte würden weiter in Tianjin abgewickelt oder auf naheliegende Häfen umverteilt.
Die vom BME befragten Automotive-Konzerne haben sich bewusst in der südöstlich von Beijing gelegenen Provinzstadt angesiedelt: Der Industriepark Tianjin Economic and Technological Development Area (TEDA) gilt für die Branche als Tor zum chinesischen Markt – auch wegen seiner guten Seeanbindung. Der unmittelbar angeschlossene Hafen, in dem es Mitte August zu einer gigantischen Explosion hochgiftiger Chemikalien kam, ist nicht nur führend in Nordchina. Er zählt auch weltweit zu den größten Anlagen, weshalb sich Global Player wie Volkswagen dort angesiedelt haben. Dazu gehört auch der japanische Branchenprimus Toyota, der laut Medienberichten zurzeit allerdings mit gravierenden Problemen in seinem Werk zu kämpfen hat. So stünden einige Montagebänder still, weil die Sicherheit nach dem Unfall noch nicht gewährleistet sei.
Obwohl die Auswirkungen der Katastrophe von Tianjin von den meisten Unternehmen als beherrschbar eingestuft wurde, ist der erneute Unfall ein weiteres Zeichen dafür, wie wichtig ein effektives Risikomanagement deutscher Firmen im Ausland ist. In den vergangenen Jahren hatten bereits Katastrophen wie der Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch sowie Berichte über Missstände in einem chinesischen Werk für Elektronikteile gezeigt, dass Sicherheitsmängel in den Werken und damit verbundene Störungen der Lieferketten für westliche Konzerne verheerende Folgen nach sich ziehen können.
Ungleich größer als die ökonomischen Auswirkungen könnten im aktuellen Fall jedoch die Folgen für Mensch und Umwelt sein. Abgesehen davon, dass wegen der Explosion in Tianjin nach derzeitigem Stand mehr als 100 Todesopfer zu beklagen sind, wird in der nordchinesischen Region mittlerweile von verseuchtem Wasser und massenhaftem Fischsterben berichtet. Der BME denkt deshalb darüber nach, bei einer am 29. Oktober in Tianjin geplanten Konferenz über die Beschaffung von Kunststoffen eine Charity-Aktion zu starten. Die Veranstaltung mit Vorträgen sowie Matchmakings zwischen Lieferanten und Einkäufern soll trotz der aktuellen Verhältnisse stattfinden.
Quelle: Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V.