Neuer UN-Leitfaden zur nachhaltigen Immobilienwirtschaft
Vom leeren Grundstück über den Bau, die Bewirtschaftung eines fertigen Gebäudes bis hin zum Abriss – in allen Phasen der Immobilienwirtschaft schlummert viel Potential für Nachhaltigkeit. Der United Nations Global Compact, eine Nachhaltigkeitsinitiative der Vereinten Nationen, und der britische Immobilienberufsverband RICS haben nun gemeinsam einen Leitfaden veröffentlicht, der Unternehmen dabei unterstützen soll, gute Arbeitsstandards zu gewährleisten, die Umwelt zu schonen und Korruption einzudämmen. Einer von zwei Hauptautoren der Studie ist David Lorenz, Professor im Fachgebiet Immobilienwirtschaft am KIT.
Der United Nations Global Compact ist die weltweit größte Nachhaltigkeitsinitiative für Unternehmen: Mehr als 8.000 Firmen in 160 Ländern haben sich freiwillig dazu verpflichtet, soziale und ökologische Mindeststandards einzuhalten und damit die Weltwirtschaft nachhaltiger zu gestalten. „Die Immobilienwirtschaft – also die Erschließung und Vermarktung von Grundstücken, sowie der Bau und die Bewirtschaftung privater und gewerblicher Immobilien – war in dieser und vergleichbaren Nachhaltigkeitsinitiativen bislang unterrepräsentiert. Es kommt hinzu, dass viele Unternehmen, die nicht der Immobilienbranche zuzuordnen sind, aber gleichwohl Immobilien nutzen – also eigentlich alle Unternehmen – oftmals das Potential ihrer Immobilien zur Erreichung von unternehmensweiten Nachhaltigkeitszielen völlig unterschätzen“, sagt David Lorenz, Professor für Immobilienwertermittlung und Nachhaltigkeit am KIT. „In Bezug auf den Ressourcenverbrauch haben Immobilien nämlich eine enorme Bedeutung. Zum Beispiel entfallen 40 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen auf bebaute Flächen und Gebäude.“
Um dem enormen Potential des Immobiliensektors etwa bei der Einsparung von Energie oder bei der Einhaltung von Arbeitsstandards gerecht zu werden, konzentriert sich der United Nations Global Compact nun erstmals auf einen spezifischen Sektor der Weltwirtschaft. In Zusammenarbeit mit der Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS), dem weltweit größten Berufsverband für Immobilienfachleute mit mehr als 100.000 Mitgliedern in 146 Ländern, hat der Global Compact nun einen Leitfaden herausgegeben, der den im Sektor tätigen Unternehmen – aber auch allen anderen Unternehmen, die Immobilien nutzen – Ansatzpunkte für Verbesserungen aufzeigt, konkrete Handlungsoptionen erläutert und anhand von exemplarischen Beispielen die Vorteile entsprechender Aktionen beleuchtet. Am Ende des Leitfadens finden Nutzer zudem eine Check-Liste, mit der sie die eigene Nachhaltigkeitsstrategie überprüfen können.
Als einer von zwei Hauptautoren des UN-Papiers konnte David Lorenz die breite Forschungsexpertise des Fachgebiets Immobilienwirtschaft an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften des KIT einbringen. „Die Nachhaltigkeitsziele des United Nations Global Compact sind in zehn allgemein gehaltenen Prinzipien definiert, bei denen es etwa um die Einhaltung von Menschenrechten, den Kampf gegen Kinderarbeit und Korruption sowie den Umweltschutz geht. Der Leitfaden zeigt den Unternehmen nun Mittel und Wege auf, mit denen sich die eigenen geschäftlichen Aktivitäten mit diesen Prinzipien in Einklang bringen lassen“, erläutert der Wissenschaftler. „Wie wichtig definierte Standards im Immobiliensektor sind, zeigt die Diskussion um die Arbeitsbedingungen auf den Baustellen der Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar.“
Lorenz und seine Partner haben den Leitfaden in drei zeitliche Phasen im Lebenszyklus einer Immobilie aufgeteilt:
- Entwicklungsphase: Umfasst etwa den Erwerb von Bauland, die Abstimmung mit lokalen Behörden und Anwohnern zur Erlangung von Baugenehmigungen und die eigentliche Bauphase.
- Immobiliennutzungsphase: Vermietung, Vermarktung, Betrieb, Instandhaltung.
- Erholungs-/Rückgewinnungsphase: Abriss, Recycling, Bodensanierung.
„Zu allen drei Phasen geben wir neben konkreten Handlungsvorschlägen auch zahlreiche praktische Beispiele von Unternehmen, bei denen sich bestimmte Aktionen bereits bewährt haben“, sagt David Lorenz. So wird etwa der Fall eines Zulieferers für Baumaterial beschrieben, der ein Werk in Puerto Rico betreibt und einen intensiven Dialog mit der lokalen Bevölkerung geführt hat. Im Zuge der Diskussion verpflichtete sich der Betreiber zu bestimmten Maßnahmen, über deren Einhaltung und Fortgang er die Anwohner in einem vierteljährlichen Newsletter informierte. Die Anzahl der Beschwerden seitens der Bevölkerung konnte so um 70 Prozent gesenkt werden. Ein anderes Beispiel aus Singapur illustriert dagegen die Vorteile des modularen Bauens. Im Falle eines neu geschaffenen Wohnblocks mit mehr als 600 Appartements konnten durch die Verwendung von etwa 5.000 vorgefertigten Gebäudemodulen enorme Mengen an Bauabfällen vermieden werden. Ein drittes Beispiel aus Oslo zeigt, dass bei Abrissarbeiten durch Recycling von Baumaterial direkt vor Ort viel Geld gespart werden kann. So wurden fast 30.000 Tonnen Beton und 10.000 Tonnen Ziegelsteine noch vor Ort durch eine mobile Mühle zerkleinert und zum Bau einer Straße verwendet, die alten Stufen einer Granittreppe dagegen für den Bau von niedrigen Grundmauern genutzt, die das Gelände stabilisieren.
„Den ersten Entwurf des Leitfadens haben wir in einer mehrmonatigen Konsultationsphase an Partner in aller Welt geschickt, die wiederum Vorschläge für unseren Maßnahmenkatalog gemacht haben“, sagt David Lorenz. „So konnten wir sicherstellen, dass der Leitfaden auf der ganzen Welt einsetzbar ist, weil wir Maßnahmen integrieren konnten, die in der westlichen Welt als selbstverständlich gelten – etwa der Einbau von separaten Toiletten für Frauen, der in einigen Ländern offenbar nicht zum Standard gehört.“
Und auch die westliche Welt weist teilweise große Lücken bei Auslegung und Anwendung geltender Standards auf, so zum Beispiel bei der Innenraumluftqualität von Bürogebäuden. „Es gibt auch in Deutschland nicht wenige Fälle, in denen gesundheitsschädliche Substanzen wie Asbest oder PCB aus Bauteilen in die Innenräume gelangen. Wir empfehlen daher einerseits den Immobilieneigentümern, vor geplanten Modernisierungs- oder Umbauarbeiten eine Bauwerksdiagnose durchzuführen. Andererseits lautet die Empfehlung an alle am Bau Beteiligten, bei Neubauten oder Modernisierungen sogenannte Environmental Product Declarations von den Lieferanten zu verlangen, damit derartige Fälle künftig vermieden werden können“, sagt David Lorenz.