In einer sich rasch entwickelnden digitalen Gesellschaft plant die Europäische Union, dass die elektronische Rechnungsstellung bis 2028 zur Standardmethode für B2B-Zahlungen in der gesamten EU werden soll. Diese Umstellung verspricht erhebliche Vorteile, birgt aber auch eine Reihe von Herausforderungen, insbesondere für international tätige Unternehmen. Während sie die elektronische Rechnungsstellung annehmen müssen, sollten sich die Betriebe auch der Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg, den Cashflow, die Bedenken der Anwender, die Interoperabilitätsmodelle und die entsprechenden Risiken und Vorteile bewusst sein.
Cash ist King
Der Cashflow ist ein entscheidender Erfolgsfaktor, denn er stellt sicher, dass ein Unternehmen über die nötige Liquidität verfügt, um Löhne zu zahlen, Ausgaben zu decken, in Wachstum zu investieren und unerwartete finanzielle Herausforderungen zu bewältigen. Herkömmliche Abrechnungs- und Fakturierungssysteme sind oft noch papierlastig und erfordern manuelle Aufgaben, was den Zeitaufwand für den Zahlungseingang und den Rechnungsabschluss erhöht und erhebliche Kosten verursacht. In unserem digitalen Zeitalter wird die elektronische Rechnungsstellung einen Wandel bewirken. Bei vollständiger Automatisierung sind die betrieblichen Verbesserungen, Effizienzsteigerungen, Kosteneinsparungen und Cashflow-Vorteile eindeutig und überzeugend, vor allem für multinationale Unternehmen, die in mehreren Mehrwertsteuersystemen tätig sind.
Ein Kraftakt, der sich lohnt
Die Einführung der elektronischen Rechnungsstellung verspricht zwar eine Optimierung der Abläufe, wirft aber insbesondere bei internationalen Unternehmen auch Bedenken auf. Die Umstellung auf E-Invoicing wird in vielen Ländern bald gesetzlich vorgeschrieben sein und ist in einigen Fällen bereits eine Pflicht zur Einhaltung der Steuervorschriften. Italien war beispielsweise das erste Land, das die elektronische Rechnungsstellung für B2B-Transaktionen im Jahr 2019 vorschrieb, wobei die Unternehmen ihre Rechnungen auf die Plattform Sistema di Interscambio (SDI) hochladen mussten. In Frankreich ist die elektronische Rechnungsstellung für Lieferanten, die mit der öffentlichen Verwaltung zu tun haben, seit 2017 verpflichtend, eine weitere Ausweitung ist für Januar 2026 geplant. Deutschland befindet sich auf einem ähnlichen Weg, wobei einige Bundesländer die elektronische Rechnungsstellung bereits eingeführt haben und bundesweite Anforderungen in Vorbereitung sind. Unterschiedliche Vorschriften in den einzelnen Ländern, Kommunen und Behörden stellen die Unternehmen vor große Herausforderungen, wenn sie die Vorschriften einhalten wollen.
Bei der elektronischen Rechnungsstellung geht es nicht nur um die Einhaltung von Vorschriften; sie ist vielmehr ein Sprungbrett für geschäftlichen Nutzen und Innovation. Automatisierte E-Invoicing-Verfahren gewährleisten die Einhaltung der Steuervorschriften, reduzieren die Fehlerquote bei der manuellen Rechnungsstellung, verringern das Risiko von Strafen und Streitigkeiten und ermöglichen eine effiziente Bewältigung des steigenden Rechnungsvolumens. Durch die Einführung der elektronischen Rechnungsstellung reduzieren Unternehmen nicht nur die Menge an Papier, sondern tragen auch zur Optimierung ihrer Lieferkette bei, was nachweislich der Nachhaltigkeit zugute kommt. Darüber hinaus hilft E-Invoicing bei der Bewältigung internationaler Herausforderungen wie Währungsumrechnung und unterschiedliche Steuersysteme.
Das wahre Potenzial von E-Invoicing liegt wohl in der KI-Integration. KI-Algorithmen können Rechnungsdaten analysieren und so wertvolle Einblicke in das Ausgabenverhalten, die Lieferantenbeziehungen und die finanzielle Situation geben. Sie können betrügerische Rechnungen aufdecken, Cashflow-Trends vorhersagen und dabei helfen, maßgeschneiderte Rechnungsprozesse für individuelle Kundenpräferenzen zu erstellen und so deren Zufriedenheit erhöhen.
Nicht ohne das richtige Interoperabilitätsmodell
Die Interoperabilität der elektronischen Rechnungsstellung ist entscheidend für einen nahtlosen Datenaustausch. Es gibt mehrere Modelle, die jeweils ihre Vor- und Nachteile mit sich bringen:
- Das Zwei-Ecken-Modell bietet direkte Eins-zu-Eins-Verbindungen, ist aber nicht skalierbar.
- Das Drei-Ecken-Modell ist zwar ähnlich, ermöglicht aber indirekte Verbindungen über einen Plattformaustauschknoten.
- Das Vier-Ecken-Modell hingegen erleichtert indirekte Verbindungen zwischen Anbietern und Käufern und bietet Skalierbarkeit bei minimalem Implementierungsaufwand.
- Das sich entwickelnde Fünf-Ecken-Modell führt eine zentrale Steuerplattform als fünfte Ecke ein, die den Datenaustausch mit den Steuerbehörden vereinfacht.
Mit Altlasten aufräumen
Trotz der offensichtlichen Vorteile der elektronischen Rechnungsstellung wird sie von einigen Finanz-, IT- und Steuerverantwortlichen als Bedrohung empfunden. Dieser Eindruck entsteht dadurch, dass veraltete Systeme, ungeeignete Prozesse und unzuverlässige Daten einer externen Prüfung ausgesetzt werden. Die Finanzabteilungen, die mit kritischen Vermögenswerten umgehen, haben sich aufgrund der Risiken, die mit der Modernisierung von Altsystemen verbunden sind, bisher nur langsam auf die digitale Transformation eingelassen.
Die elektronische Rechnungsstellung ist nicht nur eine Compliance-Anforderung, sondern ein Katalysator für die Umgestaltung der Finanzprozesse in Unternehmen. Bei der Umsetzung dieser digitalen Revolution geht es nicht nur um die Einhaltung von Vorschriften, sondern um die Erschließung neuer Werte und die Sicherung einer erfolgreichen Zukunft in einer sich ständig weiterentwickelnden Geschäftswelt.
Quelle: Marco Eeman, Managing Director von Billtrust Europa