Unternehmen in Russland – Business Special Breakfast lud zum Erfahrungsaustausch
Berlin. Derzeit leiden deutsche Unternehmen, die ein aktives operatives Geschäft in Russland betreiben unter massiven Umsatzeinbrüchen. Es geht sogar im Worst Case Szenario bis zum Verlust ihres kompletten Investments. Am heutigen Vormittag luden erfahrene Russlandprofis zum Erfahrungsaustausch in die Berliner Liese-Meitner-Straße ins Haus von der PricewaterhouseCoopers AG (PwC) – Russian Business Group.
Restrukturierung und flexible Personalführung
Die Schwerpunkte des Business-Events waren „Lessions Learned“ in Russland bei der Umstrukturierung und der flexiblen Personalführung von Gesellschaften. Auf der Speaker-Agenda fanden sich international anerkannte Russland-Experten. Im Detail:
– Rechtsanwältin Isabelle Weidemann, LL.M. (PwC AG WPG)
– Ute Kochlowski-Kadjaia (GF Berlin/Hamburg des Osteuropavereins der deutschen Wirtschaft)
– Dr. Sergey Nikitin (Leiter der Repräsentanz der Handels- und Industriekammer Russlands in Deutschland)
– Dipl. Volkswirt Hansjörg Müller (Restrukturierungen in der Praxis)
– Dr. Roman Hummelt (IMC International Management Consultants)
Thematisch wurden folgende Programmpunkte behandelt:
– Aktueller Stand der Wirtschaftsbeziehungen aus deutscher Sicht
– Aktueller Stand der Wirtschaftsbeziehungen aus russischer Sicht
– Hintergrundinformationen für Entscheidungsträger, flexible Personalführung, Veränderung der Anforderungsprofile für Führungskräfte
– Rechtliche Aspekte des Personalabbaus im Rahmen des russischen Arbeitsrechts
– Fallbeispiele für Restrukturierung/Sanierung von Unternehmen in Russland
Die Kernaussagen des Business Special Breakfast:
Dr. Roman Hummelt, IMC: „Derzeit stellen sich den Unternehmen in Russland zwei Kernfragen: Wie lange wird die Wirtschaftskrise dauern und wie kann man sie überleben, um danach in Russland weiterarbeiten zu können? Prognose: Die Wirtschaftskrise wird noch mehrere Jahre andauern. Geopolitische Gründe liegen darin, dass die Russische Föderation bislang strategische Ziele wie den Landzugang zur Krim und deren Versorgung (insbesondere mit Wasser) nicht erreicht hat. Eine Rückgabe der Krim an die Ukraine scheint nicht realistisch zu sein. Wirtschaftspolitische Gründe sind der niedrige Ölpreis, Finanzierungsprobleme durch die Sanktionen, die Inflation und massive strukturelle Probleme. Um die Wirtschaftskrise mit einem Unternehmen in Russland zu überleben sind erfahrene Krisenmanager gefordert, die das westliche Instrumentarium der Restrukturierung beherrschen. Kostenanpassung, Personalabbau und gegebenenfalls die Liquidation von unrentablen Betriebsteilen sind notwendige Sofortmassnahmen.“
RA`in Isabelle Weidemann, LL. M PwC.: „Unternehmen in Russland stehen derzeit vor der Frage, wie sie auf die aktuelle wirtschaftliche Situation reagieren und gegebenenfalls kostensenkend ihr Unternehmen umstrukturieren können, ohne sich sofort aus dem Markt zurückziehen zu müssen. Hierfür bietet sich unter bestimmten Voraussetzungen ein – möglicherweise auch nur vorübergehender – Personal- und Stellenabbau an. Allerdings sind Mitarbeiter in Russland insgesamt schwerer zu kündigen als in Deutschland, da nach russischem Arbeitsrecht in jedem Fall ein gesetzlich normierter Kündigungsgrund vorliegen muss, damit der Arbeitsvertrag arbeitgeberseitig gekündigt werden kann. Einen solchen Kündigungsgrund stellt der Personal- und Stellenabbau dar. Wichtig ist dabei, dass der Abbau tatsächlich erfolgt und nicht „fiktiv“ sein darf. Der Arbeitgeber muss durch objektiv wirtschaftliche, technische oder organisatorische Gründe belegen können, dass der Personal- oder Stellenabbau erforderlich ist und in der Praxis tatsächlich stattgefunden hat. Auch alle sonstigen Voraussetzungen (Sozialauswahl, Angebot offener Alternativstellen, Abfindungszahlungen etc.) sollten in der Praxis eingehalten und gut dokumentiert werden, da der Arbeitgeber im Streitfall die Beweislast trägt.“
Dipl.-Volkswirt Hansjörg Müller, Praxisbericht: „Die Durchführung der notwendigen Sofortmassnahmen (Restrukturierung, Kostensenkung, Personalabbau, Liquidation unrentabler Betriebsstätten) kann nur Erfolg haben, wenn die russischen Spezifika beachtet werden. Es gibt in Russland kein hinreichend entwickeltes Verständnis zur Kostenrechnung. Die Kostenrechnung sollte von westlichen Spezialisten implementiert werden. Gleiches gilt für das Controlling. Verständnis und Kenntnisse vor Ort sind noch im Aufbau begriffen. Es werden westliche Fachleute gebraucht, die das Controlling und die russische Mentalität gleichzeitig beherrschen. Der Schlüssel zur russischen Mentalität liegt in der russischen Sprache. Die Produktivität der russischen Wirtschaft liegt in der Regel (es gibt Ausnahmen in Nischen) deutlich unter der des Westens oder Chinas. Ablaufprozesse sind meist ineffizient. Die Effizienz kann und muss jetzt schnell gesteigert werden, indem das deutsche Wissen des „schlanken Managements“ – mit 20 Jahren Verzögerung – in Russland eingeführt wird.“
Dr. Sergey Nikitin, Repräsentanzleiter der Handels- und Industriekammer Russlands in Deutschland: „Sanktionen, niedriger Ölpreis und Rubelentwertung stellen Russland vor großen Herausforderungen, die gleichzeitig sowohl von offiziellen Vertretern als auch von vielen Gesellschaftsgruppen als eine Chance für die Eigenentwicklung gesehen werden. Trotz geopolitischer Diskrepanzen bleibt Russland weiterhin offen für konstruktive Wirtschaftskooperation und themenübergreifenden Dialog mit europäischen Partnern und auch mit Deutschland. Die Sanktionen zwingen zwar Russland sich auf den Märkten neu zu orientieren, dennoch wir sind zuversichtlich, dass bilaterale Wirtschaftsbeziehungen die Krisenphase gut überstehen werden. Die Modernisierung bleibt auf der tagespolitischen Agenda in Russland; die Notwendigkeit des gemeinsamen Wirtschaftsraumes von Lissabon bis Wladiwostok wurde von Deutschland gerade neu entdeckt. Russland hat derzeit so gut wie keine Staatsschulden und Rücklagen für Investitionen in Milliardenhöhe. Diverse Fördermaßnahmen im Energie- und Hochtechnologiebereich, wirtschaftliche Erschließung des Fernen Osten Russlands und andere Großprojekte bieten vielseitige Anschlussmöglichkeiten für deutsche Unternehmen.“
Ute Kochlowski-Kadjaia, Geschäftsführerin Berlin / Hamburg des Osteuropavereins der deutschen Wirtschaft: Frau Kochlowski-Kadjaia spannte den Bogen vom historischen Vorsprung deutscher Unternehmen auf dem russischen Markt zu Beginn der 1990er Jahre bis heute, wonach sich deutsche Unternehmen in Russland den gleichen Wettbewerbern stellen müssen, mit denen sie auch auf anderen Weltmärkten zu tun haben. Die zwei großen Strukturprobleme der russischen Wirtschaft sind: Erstens die Verschuldung russischer Unternehmen bei westlichen Kreditgebern, was sie gegenüber den Sanktionen im Finanzbereich verwundbar macht. Zweitens die Unterentwicklung einer russischen Zuliefererindustrie, was es deutschen Mittelständlern – die oftmals auf Zulieferungen für größere Einheiten spezialisiert sind – schwer macht, im russischen Markt adäquate Andockstationen zu finden.