Rund 7,9 Millionen Menschen mit Beeinträchtigungen lebten 2020 in Deutschland; etwa ein Drittel davon im erwerbsfähigen Alter. Nicht zuletzt der zunehmende Fachkräftemangel erfordert es, Menschen mit Beeinträchtigungen besser in das Arbeitsleben zu integrieren. Das Sozialgesetzbuch sieht vor, dass Arbeitgeber mit mehr als 20 Beschäftigten mindestens 5 Prozent ihrer Arbeitsplätze an schwerbehinderte oder gleichgestellte behinderte Menschen vergeben sollen. KI-Systeme können Inklusion und Teilhabe in der Arbeitswelt fördern und Menschen mit Beeinträchtigungen ein selbstbestimmtes sowie sinnerfülltes Arbeiten ermöglichen. Ob KI-Lösungen, die Kommunikation in Gebärdensprache übersetzen, virtuelle Rollenspiele mit KI-gesteuerten Avataren zum Training sozialer Interaktion oder KI-basierte Brillen, mit denen Menschen mit fehlenden oberen Gliedmaßen anstelle einer Computer-Mouse den Cursor auf dem Bildschirm über Kopfbewegungen steuern können – KI-Systeme unterstützen betroffene Beschäftigte dort, wo sie an ihre kognitiven oder körperlichen Grenzen stoßen.
Umdenken erforderlich
Um die Potenziale der Technologie auszuschöpfen, seien jedoch ein Umdenken in den Unternehmen sowie eine Systemveränderung in der Arbeitswelt notwendig, heißt es im Whitepaper „Mit KI zu mehr Teilhabe in der Arbeitswelt. Einsatzmöglichkeiten und Herausforderungen“. Die Anerkennung und Wertschätzung individueller Bedürfnisse müssen in einer inklusiven Unternehmenskultur und barrierefreien Arbeitsorganisation verankert werden. So unterschiedlich wir Menschen sind, so unterschiedlich sind auch unsere Arten zu lernen und zu arbeiten. Oftmals werden KI-Systeme jedoch heute mit Blick auf breite Zielgruppen und großflächige Vermarktung entwickelt, betonen die Autorinnen und Autoren.
“KI-Technologie kann ein wichtiger Baustein einer vielfältigen und fairen Arbeitswelt sein. Wir brauchen jedoch passgenaue Assistenzsysteme. Menschen mit Beeinträchtigungen sind keine homogene Gruppe. Bereits während der Entwicklung müssen die spezifischen Anforderungen der Beschäftigten berücksichtigt werden und sich zum Beispiel auch in den Trainingsdaten spiegeln“, so Angelika Bullinger-Hoffmann, Professorin für Arbeitswissenschaft und Innovationsmanagement der Technischen Universität Chemnitz und Mitglied der Arbeitsgruppe Arbeit/Qualifikation, Mensch-Maschine-Interaktion der Plattform Lernende Systeme.
Mit dem Einsatz von KI gehen auch Risiken einher, die die Ausgrenzung von Menschen mit Beeinträchtigungen verschärfen können. So können KI-Systeme die Benachteiligungen verstärken, wenn sie mit Daten trainiert wurden, in denen Menschen mit Beeinträchtigungen nicht vorkommen. Repräsentative Trainingsdaten sind eine wichtige Voraussetzung für mehr Teilhabe. Die Autorinnen und Autoren des Whitepapers empfehlen, die KI-Forschung auf den Nutzungsdaten der Betroffenen aufzusetzen. Auch sollten Entwicklerteams divers aufgestellt und Beschäftigte mit Beeinträchtigungen in Entwicklung und Einführung von KI-Systemen im Betrieb einbezogen werden.
Arbeit kann durch den Einsatz von KI komplexer werden und die Anforderungen an die Qualifikation der Beschäftigten steigen. Für Beschäftigte mit Lernschwierigkeiten kann die notwendige Weiterbildung eine große Hürde darstellen. Bildungsangebote müssen daher barrierefrei und in leichter Sprache verfügbar sein, so die Autorinnen und Autoren. KI-Tools könnten hier wiederum unterstützen, indem sie Lernangebote oder Webseiten automatisiert in Leichte Sprache übersetzen.
Quelle: Lernende Systeme – Die Plattform für Künstliche Intelligenz