Agile Führung: Das Mindset der Zukunft
Modernes Management setzt auf Eigenverantwortung statt auf Zuckerbrot und Peitsche
Mittelstand Nachrichten veröffentlicht in der Rubrik „Unternehmerwissen“ zahlreiche wertvolle Impulse für Unternehmer und Führungskräfte. Heute schreibt Mathias Hess zum Thema Agile Führung:
Globalisierung, Digitalisierung, Vernetzung: Die Welt wird immer schneller. Unternehmen brauchen die Fähigkeit, sich neuen, veränderten Situationen kurzfristig und adäquat anzupassen. Sie müssen agil sein, um rasch, flexibel und kundenorientiert zu reagieren – das gilt auch und insbesondere für ihre Führungskräfte. Agile Führung bedeutet, permanent dafür zu sorgen, dass sich der Betrieb maximal schnell auf Veränderungen einstellt. Außerdem unterstützt sie Mitarbeiter auf Augenhöhe dabei, gemeinsam die besten Lösungen für Herausforderungen zu finden.
Agile Führung ist mehr als eine moderne Führungsstrategie …
Sie ist ein Mindset. Zentrale Werte sind die Offenheit für Neues, eine gute Kommunikation und flache Hierarchien. Im Zentrum steht ein Menschenbild, das häufig mit dem Buchstaben Y betitelt wird. Ein Menschenbild Y betrachtet den Menschen als selbstmotiviert, eigenverantwortlich, kreativ und leistungsbereit. Menschen wollen Verantwortung übernehmen, so die zugrundeliegende Annahme. Das Gegenteil davon summiert sich unter dem Menschenbild X, das davon ausgeht, dass Menschen nicht arbeiten wollen, angetrieben werden müssen, nur durch Geld und Angst zu motivieren und nur in ganz wenigen Fällen kreativ sind.
Viele Unternehmenslenker folgen dementsprechend ganz klassisch dem tayloristischen Denken (Menschenbild X), wonach die Arbeiter arbeiten und die Manager denken. Besonders grotesk wird das Ganze, wenn in diesem Kontext vom beidhändigen Führen gesprochen wird: Dahinter steckt die angeblich notwendige Anforderung an Führungskräfte, sowohl agil als auch traditionell führen zu können. Wenn allerdings agile Führung in erster Linie ein Mindset ist, wie sollte sich dieses denn flexibel ändern lassen? Wie kann man mal von einem Menschenbild Y überzeugt sein, die Mitarbeiter dann aber wieder so behandeln, als habe man es mit Vertretern des Menschenbildes X zu tun?
Wie kann ein Führungsstil manchmal die Eigenverantwortung und Selbstorganisation fördern und einfordern, dann aber wieder Top-Down-Entscheidungen treffen in dem Versuch, die „richtigen“ Ergebnisse durch Angst und Geld „herbeizumotivieren“? Ganz zu schweigen davon, dass dieser Wechsel bei den Angestellten für maximale Verwirrung sorgen dürfte. Selbst wenn es Führungskräfte gäbe, die diesen Wechsel beherrschen, wäre die Wirkung auf die Mitarbeiter desaströs.
Ein auf einem Menschenbild Y basierender Führungsstil ist extrem abhängig von dem jeweiligen Unternehmen, der Unternehmensstruktur und -kultur. In Firmen, die keine Führungskräfte im klassischen Sinne mehr haben, erübrigt sich die Diskussion über einen Y-basierten Führungsstil. Derartige Firmen haben beispielsweise eine Organisationsform wie ein Pfirsich: Innen liegt der Kern mit der rechtlich notwendigen Geschäftsführung und ein paar wenigen Zentralbereichen wie HR, IT und Finanzwesen, die für die Business Areas da sind, die gewissermaßen das Fruchtfleisch des Unternehmens bilden. Außerhalb des Fruchtfleisches befindet sich der Markt mit Kunden und Partnern, die von den Business Areas betreut werden.
Zum Beispiel hat dabei jede Business Area lediglich einen Koordinator, der allerdings mehr administrative Aufgaben denn Führungsaufgaben hat. Hier werden keine Mails mehr von der Geschäftsleitung verschickt, hier gibt es kein individuelles, variables Einkommen mehr, hier muss man sich seinen Urlaub oder freie Tage nicht mehr „genehmigen“ lassen – und selbstredend gibt es hier auch kein verhasstes Jahresgespräch mehr. Klar gibt es auf der einen Seite Regeln, die überwiegend rechtlichen Aspekten Rechnung tragen. Ansonsten aber gibt es Prinzipien, die angelehnt sind an das agile Manifest. Sie haben eine Sowohl-als-auch-Formulierung, die eine Richtung favorisiert, ohne das Gegenteil völlig auszuschließen.
One-Company-Ansatz
Dabei wird etwa der One-Company-Ansatz vor das Silodenken gestellt. Wobei Silodenken nicht kategorisch ausgeschlossen wird, weil es eben auch Situationen gibt, in der eine gewisse Abgrenzung der Business Areas notwendig ist, damit der Mitarbeiter einen gewissen Fokus behält und sich nicht völlig frei im Raum bewegt, da er ja auch eine Art „Heimat“ bzw. ein Team braucht. Agile Führungskräfte trauen ihren Mitarbeitern zu, eigenverantwortlich und selbstorganisiert zu handeln. Es gibt keinen expliziten Vertrieb, der die Leistung des Unternehmens verkauft. Das muss die Unternehmensspitze selbst machen, was sogar besser funktioniert als der klassische Verkauf über – häufig durch extrinsische Motivation (Geld) getriebene – Sales-Executives, die mehr auf ihren Bonus als auf die Kundenbedürfnisse fokussiert sind.
Tatsächlich ist es möglich, auch in klassischen Organisationen Y-basiert zu führen, wobei dies häufig einem Ritt auf der Rasierklinge gleicht. Denn oftmals sind auch Agile Führungskräfte gezwungen, weiterhin Methoden und Tools zu nutzen, die dem X-basierten Menschenbild entsprechen: etwa Urlaubsanträge, Jahresgespräche oder die Budgetplanung. Trotzdem kann jeder in einigen Bereichen viel tun, um seinen Mitarbeitern mehr Selbstverantwortung und Eigenorganisation zu ermöglichen. So können etwa Informationen – soweit rechtlich zulässig – ungefiltert an alle Mitarbeiter weitergegeben werden.
Auch kann die Führungskraft dafür sorgen, dass es innerhalb eines Bereichs keine Abteilungs- oder Teamabschottungen gibt. Führungskräfte können die cross-funktionale Zusammenarbeit in ihrem Bereich fördern und sich dafür einsetzen, dass diese auch über die Grenzen des eigenen Bereichs hinweg zumindest teilweise möglich wird. Sie können ihre Mitarbeiter dazu anregen, eigene Entscheidungen zu treffen, und ihnen den Rücken stärken, wenn mal etwas schief geht. Regelmäßiges Feedback kann auf Augenhöhe mit dem Mitarbeiter und in beide Richtungen erfolgen. Zudem sollte man seinen Mitarbeitern auch gegenüber Kunden den Rücken stärken, indem man ihre Entscheidungen nicht in Frage stellt oder gar korrigiert. Es gibt also viele Möglichkeiten, den klassischen Führungsstil in Richtung Y-basierter Führung anzupassen.
Über den Autor
Seit rund einem Vierteljahrhundert ist Mathias Hess in der digitalen Welt unterwegs – in nationalen mittelständischen Unternehmen und in internationalen Großkonzernen, als CIO und IT-Leiter sowie in verantwortlichen Management-Positionen bei IT-Service-Providern. Er kennt alles, was das moderne IT-Umfeld beim Thema Digitalisierung als Chancen, aber auch an Risiken zu bieten hat. Er verfügt über umfangreiche Erfahrungen im Projektmanagement, sowohl mit der Einführung neuer Anwendungen und Prozesse (ITIL) als auch in der Umsetzung von Outsourcing-Projekten und komplexen Offshore-Leistungen. Im Rahmen seiner Tätigkeit trägt er oft auch Verantwortung für das Change-Management, was immer mehr zum entscheidenden Erfolgsfaktor in vielen Projekten wird. Mathias Hess ist begeisterter Chancen-Nutzer und Digitalisierungsoptimist. Die IT sieht er zukünftig immer weniger als Kostenoptimierer, sondern vielmehr als treibenden „Business Enabler“. Mathias Hess ist Interim Manager und professioneller Vortragsredner. Seine Themen sind Innovation, Führung, Agilität und Change-Management.
Weitere Informationen unter www.mathias-hess.com.