Noch im Jahre 2004 stand eine Ausbildungsplatzabgabe zur Debatte: Betriebe, die gemessen an der Zahl der Beschäftigten zu wenigen Jugendlichen eine Berufsausbildung ermöglichen, sollten eine Sonderabgabe zahlen. Gut ein Jahrzehnt später ist davon nichts mehr zu spüren – im Gegenteil. Heute bleiben trotz insgesamt rückläufiger Zahlen viele Ausbildungsplätze im Handwerk unberücksichtigt. Dabei sind die Branchen unterschiedlich stark betroffen.
Sogar der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) spricht von einer Tendenz zur Akademisierung: Immer mehr junge Menschen mit Abitur beginnen ein Studium. Dieser Umstand hat sogar Auswirkungen auf das Handwerk, weil Absolventen der mittleren Reife, die in der Vergangenheit häufig eine handwerkliche Ausbildung starteten, nun verstärkt eine kaufmännische Ausbildung anstreben. Das Handwerk hat trotz Rückgang der Ausbildungsstellen in den letzten Jahren zunehmend Schwierigkeiten bekommen, diese Stellen zu besetzen. Weil die Berufe bei den Jugendlichen auch unterschiedliche beliebt sind, fällt der Mangel an Auszubildenden auch stark unterschiedlich aus.
So ist das Kfz-Handwerk, welches traditionell auf der Wunschliste der männlichen Jugendlichen ganz oben steht, auch kaum von einem Mangel betroffen. Mit derzeit rund 90.000 Auszubildenden zeigt sich Branche nach wie vor stark und muss auch in Zeiten des demografischen Wandels viele Bewerber ablehnen. Da müssen selbst Betriebe kreativ werden und locken die besten Bewerber mit dualen Ausbildungen im Ausland. Auch Tischler und Elektriker haben keine Schwierigkeiten, genug Auszubildende zu finden. In diesen Branchen besteht nach wie vor ein deutlicher Bewerberüberhang. Andere Berufszweige klagen hingegen schon seit einigen Jahren, dass sich immer weniger ausbildungswillige Jugendliche finden: Maler und Zimmerleute haben offensichtlich ein Imageproblem: Seit 2008 ging die Zahl der neuen Ausbildungsverträge im letzten Jahr von 270 auf nur noch knapp über 200 zurück – benötigt werden aber jährlich laut Schätzungen des Branchenverbandes mindestens 300 neue Auszubildende, um künftig auch den Bedarf an Maler- und Lackiermeistern decken zu können.
Ähnliche Klagen kommen auch vom Arbeitgeberverband Lebensmittel und Genuss e.V. (ANG): Im Jahre 2012 wurden gerade einmal noch 20 Ausbildungsverträge für den Bäckerberuf geschlossen – nach immerhin 61 Verträgen im Jahre 2008. Offensichtlich scheuen viele Jugendliche das frühe Aufstehen. Einen ähnlichen Rückgang – wenn auch auf höherem Niveau – hatte das Friseurhandwerk zu beklagen. Bei der Debatte um den gesetzlichen Mindestlohn mussten häufig vor allem Friseure als Negativbeispiel für eine geringe Bezahlung herhalten – eine Vergütung um 300 Euro monatlich ist in der Ausbildung durchaus üblich. Dieser Umstand soll aber über die Aufstiegschancen nicht hinweg täuschen: Nach erfolgreicher Gesellenprüfung ist auch ein Meisterabschluss und die Selbstständigkeit möglich. Danach kann eine Weiterqualifikation zum Betriebswirt erfolgen – sogar ein Hochschulstudium ist dann denkbar.
Ein weiterer Faktor bei der Ausbildungssituation ist allerdings auch der Standort und die Art des Ausbildungsbetriebes: Kleinere Betriebe, die im ländlichen Raum angesiedelt sind, haben derzeit tendenziell größere Schwierigkeiten, Nachwuchs zu finden als bekannte Großunternehmen. Dabei haben kleinere Betriebe prinzipiell den Vorteil, dass die Arbeit in der Regel abwechslungsreicher ausfällt. Es kommt nicht selten vor, dass Kleinunternehmen gerne ausbilden, jedoch nicht die Zeit finden Inserate zu schalten. Hier ist oft die Eigeninitiative der Bewerber gefragt. Ein Blick in den Örtlichen Teil des Branchenbuches schadet hier nicht, um einen direktkontakt herzustellen. Ob Zimmerer in Gelsenkirchen oder Sanitärausbildung in Lübeck: Wichtige Daten lassen sich schnell durch das Branchenbuch herausfinden. Vorteil auch: Der sofortige Direktkontakt bleibt in kleinen Unternehmen bestimmt im Gedächtnis. Dahingegen haben Großunternehmen eher über eine industrielle Organisationsstruktur, die die Arbeit sehr kleinteilig zerlegt. Im Klartext kann das bedeuten, dass die Tätigkeiten für die einzelnen Mitarbeiter sich täglich stark ähneln. Vor allem in vielen größeren Städten zeigt sich auch im Handwerk ein anderes Bild: Hier klagen die Unternehmen häufiger darüber, dass die Bewerber grundlegende Qualifikationen und Disziplin vermissen lassen. Rechtzeitig zur Arbeit erscheinen, für die Berufsschule lernen – für viele Auszubildende ist das keine Selbstverständlichkeit mehr. Denn obwohl die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge in den letzten Jahren stetig gesunken ist, werden gleichzeitig immer mehr Verträge vorzeitig aufgelöst – von den Betrieben.