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Bürger unter Strom

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Berlin (dapd-bln). Ihre Gegner sind Großkonzerne mit Milliardenumsätzen – etwa der Energieriese Vattenfall oder der chinesische Staatskonzern State Grid. Luise Neumann-Cosel ist der Klassenunterschied bewusst, schrecken kann er die 26-jährige Umweltaktivistin aber nicht. „Jedes von den Unternehmen, das sich mit uns beworben hat, ist größer als wir und hat riesige finanzielle Möglichkeiten“, sagt sie.

Und es geht um viel: knapp 35.000 Kilometer Erdkabel, 1.000 Kilometer Freileitungen plus die dazugehörigen Masten und rund 2,2 Millionen Stromanschlüsse. Neumann-Cosel will den Stromgiganten das Berliner Stromnetz vor der Nase wegkaufen – und sie ist nicht allein.

Die 26-Jährige hat gemeinsam mit anderen Aktivisten die Genossenschaft Bürger Energie Berlin gegründet. Die bewirbt sich nun um die Konzession für das Stromnetz in der Hauptstadtregion. Die Idee dahinter so alt wie einfach: Viele einzelne Menschen schließen sich in einer zusammen und verwirklichen mit kleinen Beiträgen ein großes Projekt.

Obwohl die Hürden gerade im Stromsektor hoch sind, hält der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverbands (DGRV) die Initiativen der Bürger für einen Treiber der Energiewende. Rund 500 solcher Gemeinschaftsunternehmen zum Ausbau erneuerbarer Energien hätten sich in den vergangenen Jahren neu gegründet und rund 800 Millionen Euro investiert, besagt eine Studie des Verbands aus dem vergangenen Jahr. Die Agentur für Erneuerbare Energien zählte 2011 allein in Berlin zehn und in Brandenburg acht Energiegenossenschaften.

Nicht selbst Strom produzieren

Bürger Energie Berlin ist dabei ein Sonderfall: Die Genossenschaft will nicht in erster Linie selbst Strom erzeugen, den Mitgliedern geht es vor allem um das Stromnetz. Das wollen sie für den Atomausstieg fit machen. „Das bedeutet, dass wir darauf hinwirken, dass das Netz so umgebaut wird, dass es den Bedürfnissen der erneuerbaren Energien entspricht, es also keine Hemmnisse gibt für den Anschluss von erneuerbaren Energien“, sagt Neumann-Cosel.

Wenn sich viele Menschen fänden, die mitmachen, könne die Genossenschaft das notwendige Kapital dafür aufbringen, ist sie überzeugt. Seit der Gründung im Dezember 2011 hat Bürger Energie Berlin rund 270 Mitglieder für die Idee gewonnen. Für 500 Euro können Bürger zu Genossen werden, etwa 60 Prozent des Netzpreises könnten laut Neumann-Cosel durch zusätzliche Kredite finanziert werden.

Ende 2014 läuft die aktuelle Konzession für das Stromnetz zwischen dem Land Berlin und dem Vattenfall-Konzern aus. Acht Bewerber bemühen sich um den neuen Vertrag: Neben Bürger Energie Berlin wollen unter anderem auch Vattenfall und eine Tochter des chinesischen Staatskonzerns State Grid zum Zug kommen.

Bewegung aus der Bürgergesellschaft

Bürger Energie Berlin tritt dabei sehr viel bescheidener auf als die Großkonzerne. Statt in einem vollverglasten Bürogebäude arbeitet die Genossenschaft von einer alten Fabrik in einem Hinterhof in Berlin-Wedding aus an ihrem Projekt. Die Räume gehören zu einer Firma für Zahnarztbedarf, bei der die Genossen keine Miete zahlen müssen.

Am Ende, sagt Neumann-Cosel, sei vielleicht nicht die Größe des Bewerbers ausschlaggebend für den Erfolg. „Man darf nicht unterschätzen, was eine Bewegung aus der Bürgergesellschaft für einen Einfluss haben kann.“ Die 26-Jährige weiß, wovon sie spricht: Sie kommt aus der Anti-Atomkraftbewegung, war Pressesprecherin der Initiative „X-tausendmal quer“, hat im Wendland die Schienen gegen Castortransporte besetzt.

Bedenken aus Potsdam

Dabei ist das Objekt der Begierde Neumann-Cosels in Berlin gar nicht leicht zu finden: Nur an wenigen Stellen zeigen sich die Stromleitungen oberirdisch. Einer dieser Orte ist der Charlottenburger Verbindungskanal. Mit dem Auto sind es nur ein paar Minuten vom Büro der Energiebürger zu den Freileitungen.

Grau und trostlos recken sich die riesigen Masten in den trüben Berliner Winterhimmel. Mit voller Wucht zeigen sie, wie groß Neumann-Cosels Idee wirklich ist.

Ohne Unterstützung aus dem Abgeordnetenhaus wird sie sie nicht umsetzen können. Neumann-Cosel weiß das. Die entscheidende Frage sei, ob sich das Vorhaben auch politisch umzusetzen lasse, sagt sie.

Mit den politischen Hürden kennt sich Neumann-Cosels Mitstreiterin Sophie Haebel aus. Sie ist Vorstandsvorsitzende der Neue Energie Genossenschaft in Potsdam, die auf Dächern einer Schule und eines Polizeigebäudes Photovoltaikanlagen betreibt. Im vergangenen Jahr hätten die rund 240.000 Kilowattstunden Strom geliefert, sagt Haebel.

Neue Gesetze machten den Betrieb aber immer schwieriger – vor allem wirtschaftlich. Die ständig schrumpfende Förderung aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sei ein Grund dafür erklärt Haebel. Hinzu komme oder der Zwang, einen Teil des Stroms selbst nutzen zu müssen.

Sie glaube daher nicht, dass Genossenschaften einen großen Beitrag zur Energiewende leisten können, sagt Haebel – zumindest nicht praktisch. Trotzdem zeigten sie dem Bürger, dass er selbst aktiv werden könne – „vom anonym versorgten Energiekonsumenten wird er zum mitdenkenden Produzenten“.

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