Ratingen – Mit dem Ausscheiden der Liberalen aus dem Bundestag haben sich die politischen Koordinaten in Berlin verschoben. Rente mit 63, Mütterrente, Mindestlohn – die Liste der kritisierten Projekte der Großen Koalition ist lang. Fast scheint es, als hätte Berlin die ordnungspolitischen Axiome der Sozialen Marktwirtschaft aus den Augen verloren. Gemeinsam mit dem ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle begaben sich 50 Wirtschaftssenatoren in den Räumen von Gastgeber Vollack GmbH & Co. KG in Ratingen, dessen Geschäftsführer Jo Swodenk die Firma als Wirtschaftssenator repräsentiert, auf Spurensuche nach neuen Optionen einer politischen Kehrtwende.
Fernab von Herrenwitz und Buchpublikation hat sich Rainer Brüderle seine klare politische Linie bewahrt. Der Pfälzer, dessen Herz deutlich vernehmbar für den Mittelstand schlägt, warnte im Gespräch mit Moderator Dr. Andreas Turnsek vor einem gefährlichen Mentalitätswandel in unserer Gesellschaft, quasi einer schleichenden Verstaatlichung der Köpfe, die zunehmend droht, klassische liberale Werte von Eigenverantwortung und unternehmerische Initiative zugunsten eines Sicherheits-Mantras zu verschütten.
„Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer“
Dabei lebe Deutschland wie kaum ein anderes Land von seinem unternehmerischen Mittelstand, so der Ex-Minister, der im Gespräch tiefe Einblicke in das Innenleben der FDP gewährte, einer Partei, die um ihr politisches Überleben kämpft. Und so klang sein Appell dann auch wie ein Weckruf: „Lasst den Menschen Luft, lasst sie gestalten, denn der Staat ist nicht der bessere Unternehmer“, forderte Brüderle mit Blick auf die Berliner Politik, die seiner Ansicht nach in diesen Tagen in vielerlei Hinsicht auf Irrwege geraten ist. So bereite ihm neben der fatalen rentenpolitischen Fehllenkung der Rente mit 63 vor allem die mangelnde fiskalische Konsolidierungsbereitschaft erhebliches Kopfzerbrechen. Diese Entwicklungen spiegeln eine generell falsche Weichenstellung: Es müsse wieder mehr Kapital in Innovationsprozesse fließen, mittelständisches Unternehmertum gefördert werden. Die gegenwärtige Gefälligkeitspolitik konterkariere diese Notwendigkeit.
Europapolitik muss nachjustiert werden
Ein anderes Sorgenkind dieser Tage, die Europapolitik, schloss den liberalen Rundumschlag Brüderles ab. Europa brauche ein ähnlich schlagkräftiges Entflechtungsgesetz und Kartellrecht, wie es in Deutschland gängige Praxis ist. Wettbewerb und faire Rahmenbedingungen könnten die Soziale Marktwirtschaft zu einem Markenkern eines europäischen Wirtschaftsraumes machen, der die tiefen Risse, die die Schuldenkrise hinterlassen hat, sozial verträglich verschließt. Als dauerhaftes Problem, so Brüderle, könne sich allerdings die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) entpuppen. Die hinterließe nur Verliere: Deutschlands Sparer büßten Teile ihrer Altersvorsorge ein, der Konsumhunger wachse und Kapital fließt in dubiose Kanäle und Projekte, die mit unrealistisch hohen Zinsen locken – düstere Aussichten für diejenigen, die auf bürgerfreundliche Konsolidierung setzen.