Die Europa-Rente: ein alternatives Altersvorsorge-Modell?
In der aktuellen Diskussion zur Altersvorsorge erhält ein Vorschlag bisher recht wenig Aufmerksamkeit: die „Europa-Rente“. Dabei gibt es schon seit Jahren seitens der EU Überlegungen, ein im gesamten Binnenmarkt geltendes Produkt für die Altersvorsorge einzuführen. Nach den Stellungnahmen der Vertreter aus den Mitgliedsstaaten und der europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA können nun auch die Bürger ihre Meinung dazu äußern. Was genau hinter der Europa-Rente steckt und wie der aktuelle Stand der Dinge ist, fasst Dr. Paulgerd Kolvenbach, Geschäftsführer der Longial GmbH, zusammen.
Warum eine Europa-Rente?
Die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherungssysteme werden für kommende Rentnergenerationen nicht ausreichen: Diese Erkenntnis ist nicht nur in Deutschland hinlänglich bekannt, auch die EU-Kommission hat sich des Themas angenommen. Ursachen sind sowohl die demografischen Veränderungen – immer mehr ältere Menschen stehen immer weniger jüngeren und Erwerbstätigen gegenüber – als auch die nach wie vor schwierige Lage, in der sich viele Staatshaushalte befinden. Zur Sanierung wird nicht vor Leistungskürzungen oder Anhebung von Renteneintrittsaltern Halt gemacht. Die Kommission schlägt daher eine Europa-Rente („Pan European Personal Pensions Products“ – PEPP) vor: „Mit der Europa-Rente verfolgt die EU-Kommission mehrere Ziele: Zum einen sollen die EU-Bürger mehr für das Alter vorsorgen, zum anderen würde ein solches Produkt einen Meilenstein im Rahmen des Aktionsplans der Kommission zur Schaffung einer Kapitalmarktunion darstellen“, so Dr. Paulgerd Kolvenbach von der Longial.
Aus der Verbindung von langfristig angelegtem Sparen und dem damit einhergehenden Bedarf an langfristig orientierten Kapitalanlagemöglichkeiten der Produktanbieter entsteht nach Einschätzung der EIOPA hierfür ein attraktives Marktumfeld, wobei insbesondere das aktuelle und wohl auch noch länger anhaltende Niedrigzinsumfeld eine besondere Herausforderung darstellt. Investitionen hat die europäische Aufsichtsbehörde in Infrastrukturprojekte und für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) ins Auge gefasst, die zudem die europäische Wirtschaft stärken und zu zusätzlichen Arbeitsplätzen führen sollen.
Was ist anders zu vorhandenen Altersvorsorgesystemen?
Was macht die Europa-Rente anders als die heute schon vorhandenen Angebote zum Aus- beziehungsweise Aufbau einer adäquaten Altersversorgung? „Die zentralen Anforderungen der EIOPA ähneln der ‚Quadratur des Kreises‘“, meint der Experte der Longial: Das Produkt soll ohne großen Erklärungsbedarf verständlich, zudem transparent, kostengünstig, sicher und mit attraktiven Renditechancen versehen sein. Um den Wettbewerb innerhalb der EU zu entfachen, sollen die Lösungen grenzüberschreitend angeboten werden. Die Folge: Zieht ein EU-Bürger in ein anderes EU-Land, ist er nicht mehr gezwungen, seine Europa-Rente zu kündigen. Vertriebskosten sollen aufgrund eines Online-Vertriebs nahezu entfallen. Die Vielfalt der Produkte soll eine breite Palette an Anbietern gewährleisten, darunter Banken, Versicherungen, Investmentgesellschaften, (staatliche) Pensionseinrichtungen und Versorgungskassen. Dabei soll die Europa-Rente neben allen bereits vorhandenen Lösungen, beispielsweise der betrieblichen Altersversorgung oder privater Altersvorsorgelösungen wie der Riester-Rente, angeboten werden.
Befragung der EU-Bürger
Nachdem für die beiden bisherigen Stellungnahmen im Wesentlichen Interessenvertreter der einzelnen Mitgliedsstaaten und Produktanbieter einbezogen wurden, richtet sich EIOPA nun an die EU-Bürger. Online haben sie bis zum 31.Oktober 2016 die Möglichkeit, ihre Erfahrungen mit und Anforderungen an Altersvorsorgeprodukte der Aufsichtsbehörde mitzuteilen. In einem zweiten Abschnitt richtet EIOPA Fragen an Verbraucher-(schutz)organisationen, in einem dritten Abschnitt an Produktanbieter. „Leider weiß außer den Fachleuten kaum jemand von dieser Befragung, dabei würde eine hohe Beteiligung der EU-Bürger und Verbraucherorganisationen wichtige Erkenntnisse liefern können“, stellt der Longial Experte fest.
Offene Fragen
Fragen bleiben bei dem Ziel, kostengünstige und langfristige, vor allem aber auch renditeträchtige Anlagen zu bieten sowie bei der steuerlichen Behandlung der Europa-Rente. Lassen sich Altersvorsorgeprodukte ohne persönliche Beratung vermitteln? Gibt es einen eigenen steuerlichen Rechtsrahmen auf der ganzen EU-Ebene? Und vor allem: Wie schafft man europaweit das Bewusstsein in der Bevölkerung, dass zusätzliche Vorsorge für das Alter dringend notwendig ist? Es besteht also noch Klärungsbedarf. Dennoch meint der Longial Experte: „Eine europäische Initiative, das Bewusstsein für eine zusätzliche Altersversorgung zu schärfen, verbunden mit grenzüberschreitenden Lösungen, ist eindeutig zu begrüßen.“
Quelle: HARTZKOM