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Fremde Nachbarn: Welche Hürden deutsche Arbeitnehmer in der Schweiz erwarten

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Auf viele Deutsche, die im Ausland arbeiten oder ganz auswandern wollen, übt die Schweiz eine starke Versuchung aus. Immerhin sind Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede sehr gering. Oder doch nicht? Prof. Dr. Torsten Bügner von der AKAD University beschreibt, welche Stolpersteine das Nachbarland für deutsche Arbeitnehmer und Verhandlungspartner bereithält.

Als zwei Nationen, die sich durch eine gemeinsame Sprache unterscheiden, hat George Bernard Shaw einmal England und die USA bezeichnet. Ähnliches kann man für Deutschland und (zumindest) die deutschsprachigen Teile der Schweiz festhalten. Befragt man deutsche Arbeitnehmer, die ihr Geld im südlichen Nachbarland verdienen, so zeigen sich vielfältige Unterschiede, die sogar noch weit über lokale sprachliche Differenzen hinausgehen. Schweizer Lebensart und Arbeitsethos haben nach Auskunft vieler expatriates nicht allzu viel mit deutschem Geschäftsgebaren zu tun und ähneln überraschend oft der amerikanischen Arbeitskultur.

Häufig erwähnen die Deutschen beispielsweise die im Vergleich zu ihrem Heimatland flacheren Hierarchien der Schweizer Unternehmen. Hierarchiebenen sind zwar vorhanden, aber im Arbeitsalltag – ähnlich wie in angloamerikanischen Ländern – weniger sichtbar. Gepflegt wird ein familiäres Klima mit einem lockeren Umgangston, ungeachtet von Abteilungen und Hierarchien. Statusdenken ist unbekannt. Und auch beim business socializing ähneln sich Schweizer und Amerikaner. So wird ein Problem gern mal bei einer Tasse Kaffee oder einem gemeinsamen Essen besprochen.

Amerikanische Makrostrukturen mit deutschen Prinzipien

Allerdings ähneln sich Schweiz und USA auch in Punkten, die deutsche Arbeitnehmer eher als negativ empfinden. Denn sie müssen sich hier auf längere Arbeitszeiten, kürzeren Urlaub und geringeren Kündigungsschutz einstellen. Wenig deutsch erscheinen auch die makrostrukturellen Bedingungen für Geschäftskontakte, wie etwa die hohe Bedeutung, die dem äußeren Erscheinungsbild beigemessen wird („dress for success“), ein stark ausgeprägter Konformitätsdruck bezüglich des Verhaltens in Standardsituationen sowie die Bedeutung sozialer Netzwerke für Karriere und Unternehmenserfolg. Während das „old boys network“ der Amerikaner durch gemeinsam besuchte Hochschulen entsteht, ist es in der Schweiz häufig der Wehrdienst in der Armee, der als Ausgangspunkt für lebenslange Kontakte dient – jedoch meistens nur für männliche executives, was auf den vergleichsweise geringen Anteil an weiblichen Führungspersonen verweist.

Freilich lassen sich für die Schweizer Geschäftswelt durchaus Charakteristika finden, die sich von den USA unterscheiden und eher an deutsche Prinzipien und Verhaltensweisen erinnern: Schweizer Manager planen methodisch und präzise. Entscheidungsprozesse sind langsam und konsensorientiert. Seriosität wird durch Seniorität verdeutlicht – Respekt vor dem Alter, sei es bei einer Person oder einem Unternehmen, ist ein verinnerlichter Verhaltenskodex.

„All business is local business” – 26 mal

Direktheit bei Verhandlungen wird sehr geschätzt, insbesondere in der deutschsprachigen Schweiz. Das Kommunikationsverhalten entspricht dabei den Hallschen „low-context cultures“: Charakteristisch ist in diesen Kulturen eine Formalisierung von Beziehungen und ein Verhandlungsstil, der klar, eindeutig und linear ist. Auch beim Zeitverhalten liegen Deutsche und Schweizer eng beieinander. Beide lassen sich zu den „monochronen“ Kulturen zählen: Die klare Festlegung zeitlicher Abläufe, Pünktlichkeit und Einhaltung von Fristen sind essentiell. Warnen muss man Geschäftsleute schließlich vor allzu selbstbewusstem Auftreten. Besserwisserei, Aufdringlichkeit und Prahlerei sind Schweizer Geschäftsleuten ein Graus. Bei Erstkontakten ist Zurückhaltung und fast schon britisches understatement gefordert.

Stärker als bei anderen Nationen sind die gerade beschriebenen allgemeinen Kultur- und Verhaltensstandards im Falle der Schweiz jedoch zu relativieren. Die Schweiz hat schließlich vier offizielle Landessprachen: neben Deutsch noch Französisch, Italienisch und Rätoromanisch, wobei letzteres jedoch selten als Amtssprache verwendet wird. Schon aus sprachlicher Hinsicht ergibt sich somit die Konsequenz, neben den oben skizzierten allgemeinen nationalen Standards die Eigenschaften der verschiedenen Schweizer Teilkulturen zu berücksichtigen. Selbst wenn ein starkes nationales Identitätsgefühl vorausgesetzt werden kann, gilt gerade für die Schweiz mit ihrer ausgeprägten föderalen Struktur von 26 Kantonen der Satz: „All business is local business“.

Lieber einmal mehr nachfragen

Es gibt in der Schweiz eine Vielzahl von Regionalkulturen, die sich zunächst einmal durch die Sprache definieren. Standardbegriffe bei Geschäftsverhandlungen können so durchaus unterschiedliche Nuancen erhalten, je nachdem ob sie in einem deutschen, französischen oder italienischen Kontext genannt werden.

Zufall oder nicht, es war schließlich der Schweizer Ferdinand de Saussure, der mit seinem von Studierenden posthum zusammengestellten „Cours de linguistique génerale“ (1916) die moderne Sprachwissenschaft (mit)begründete und der mit seinem Prinzip der Arbitrarität darauf verweist, dass die Beziehung zwischen unserer Vorstellung von einem Objekt und seinem sprachlichen Ausdruck ausschließlich durch Konventionen der Sprachgemeinschaft bestimmt ist – egal ob „Baum“, „tree“, „arbre“ oder „albero“. Überträgt man das Prinzip auf die polyphonen Geschäftsverhandlungen mit Schweizern – Kenntnis von zwei Landessprachen sowie Englisch werden für das mittlere Management vorausgesetzt – so empfiehlt es sich, öfter einmal nachzufragen, was denn genau mit einem bestimmten Begriff oder einer bestimmten Wendung gemeint ist. Dass dies subtil, höflich und diskret geschehen sollte, versteht sich von selbst.

Über den Autor

Prof. Dr. Torsten Bügner ist Rektor an der Stuttgarter Fernhochschule AKAD University. Als Professor für Wirtschaftssprachen und Wirtschaftskommunikation leitet er zudem den AKAD-Studiengang B.A. International Business Communication, in dem sich Studierende unter anderem intensiv mit den interkulturellen Herausforderungen im Geschäftsleben auseinandersetzen.

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