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„Mehr ITler lösen das Problem nicht“

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Digitalisierungsprojekte in deutschen Unternehmen dauern zu lange. Doch mehr Fachkräfte allein, wenn sie denn überhaupt auf dem leergefegten Arbeitsmarkt zu finden sind, werden das Problem nicht lösen. Stattdessen hat die verstärkte Entwicklung von No-Code das Zeug dazu, zum zentralen Erfolgsfaktor beim Thema Digitalisierung zu werden. Damit können sich gerade kleinere Unternehmen vom Wettkampf um IT-Fachkräfte entkoppeln, sagt der IT-Experte Sven Pietsch, Gründer und Geschäftsführer der Innoloft GmbH, im Interview.

In der gesellschaftlichen Debatte hört man immer wieder vom IT-Fachkräftemangel. Wenn man es jetzt plakativ schildern würde, wie es tatsächlich in den Betrieben vonstatten geht.
Wie würden Sie die aktuelle Situation in einem Unternehmen beschreiben, sobald die Frage nach Digitalisierungsvorhaben aufkommt?

Ja, es stimmt, dass in den Medien der Fachkräftemangel als Hauptproblem dargestellt wird. Aber wir müssen hier genauer hinschauen, um die wirklichen Probleme aufzudecken. Stellen wir uns vor, ich bin eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter einer Fachabteilung eines deutschen Mittelständlers. Nun habe ich Potenziale erkannt, Prozesse im Unternehmen durch Digitalisierung effizienter zu gestalten. Ich habe also die Idee und beginne erst mal in PowerPoint und mache ein Konzept. Anschließend wird intern diskutiert, oft bedarf es dann erst noch weiterer Freigaben, bis ich auf die IT-Abteilung zugehen darf. Die schauen sich das nach fünf Wochen das erste Mal an und benötigen dann genauere Informationen, ein Pflichtenheft. Also wird wieder viel geschrieben und nach weiteren Wochen wird entschieden, ob man es intern selbst entwickelt oder aufgrund mangelnder Ressourcen und hoher Auslastung lieber extern vergibt. Es ist leider gängige Praxis in Unternehmen, dass gut und gerne nach sechs Monaten noch niemand angefangen hat, auch nur eine Zeile Code zu schreiben. Bis tatsächlich mal ein Prozess digitalisiert ist, vergeht unfassbar viel Zeit. Und das ist der Grund, warum wir so oft noch aufgefordert werden, Dinge zu drucken, per Fax zu senden oder irgendwo persönlich vorbeizukommen. Mehr ITler lösen das Problem nicht.

In Deutschland stehen KMUs vor der Herausforderung, hochqualifizierte IT-Fachkräfte zu finden, um den steigenden Bedarf an digitalen Transformationen zu decken.
Wie könnte No-Code-Entwicklung dazu beitragen, dem akuten Mangel an IT-Fachkräften in Deutschland zu begegnen, insbesondere in KMUs, die nicht mit den großen Tech-Konzernen um die Talente konkurrieren können?

No-Code-Entwicklung bietet die große Chance, dass wir die bestehenden Mitarbeiter*innen in den KMUs befähigen, selber Anwendungen zu entwickeln – ganz ohne Programmierkenntnisse. Anstatt weitere IT-Fachkräfte einzustellen, bauen die Anwender*innen ihre eigenen Anwendungen. Genauso wie wir Anfang der 2000er jedem Word und Excel beigebracht haben, können wir den Mitarbeiter*innen nun das Konfigurieren von Webanwendungen ermöglichen. Dies führt nicht nur zu schnelleren Umsetzungszeiten, sondern auch zu mehr Akzeptanz der Lösungen, weil die Anwender*innen das Thema selbst in der Hand haben. Die neue Generation von No-Code-Lösungen ermöglicht das. Wenn wir das schaffen, dann kann No-Code-Entwicklung zu einem zentralen Erfolgsfaktor beim Thema Digitalisierung werden – insbesondere für Unternehmen, die sich so vom Wettkampf um IT-Fachkräfte entkoppeln können.

In Deutschland wird verstärkt darüber diskutiert, wie man die digitale Kompetenz breiter Bevölkerungsschichten fördern kann.
Welche Rolle kann No-Code bei der Förderung von Fachkenntnissen außerhalb des traditionellen IT-Bereichs spielen, um in Deutschland eine breitere Beteiligung an der Software-Entwicklung zu ermöglichen und somit den IT-Fachkräftemangel zu verringern?

Wenn ich sehe, was Kinder und Jugendliche heute im Bereich KI, Video und Gaming schon alles auf die Beine stellen, dann sehen wir gerade bei den Jüngsten eine mehr als ausgeprägte Digitalkompetenz. Vieles davon wird bereits mit No-Code umgesetzt. Für Unternehmen gilt das natürlich etwas differenzierter. Auch wenn ich bei der No-Code-Entwicklung keinen Code selber schreiben muss, muss ich mich mit digitalen Prozessen, Customer Journeys und Softwarestrukturen auseinandersetzen. Dies führt unweigerlich zu mehr Kompetenz und Verständnis im Bereich Digitalisierung. In Unternehmen haben wir jedoch die Herausforderung, dass man bestehende Prozesse aufbrechen muss. Das mögen wir als Deutsche leider nicht so sehr. Da braucht es viel intrinsische Motivation. Ich sehe im Bereich No-Code aber genau dieses Potenzial, Begeisterung und somit Motivation zu wecken. Wir nennen das den ,IKEA-Effekt‘. Man kennt es vielleicht aus dem Privatem. Wenn man, anstatt den Gartenbaubetrieb zu beauftragen, das Gartenhäuschen selbst aufbaut, dann ist man danach stolz, hat eine persönliche Beziehung zum Ergebnis aufgebaut und Lust auf mehr. Ähnlich kann es mit der No-Code-Entwicklung auch im Bereich Digitalisierung sein.

In diesem Zusammenhang gewinnt die Zusammenarbeit zwischen Bildungseinrichtungen und Unternehmen immer mehr an Bedeutung, um den wachsenden IT-Fachkräftemangel anzugehen. Wie können Bildungseinrichtungen und Unternehmen zusammenarbeiten, um No-Code-Fähigkeiten zu fördern und somit einen nachhaltigen Beitrag zur Verringerung des IT-Fachkräftemangels zu leisten?

Idealerweise bringen wir das Thema No-Code in den Unterricht von Schulen, Hochschulen und Universitäten. Junge Menschen werden dann quasi mit dem Thema ,groß‘ und bringen die Fähigkeiten dann direkt mit ins Berufsleben. Den Effekt würde man natürlich erst in ein paar Jahren sehen. Kurzfristig ist es wichtig, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter*innen an das Thema heranführen, Neugierde schaffen und Basiswissen vermitteln. Dies kann zunächst auch spielerisch und mit ,Learning-by-doing‘ geschehen. Darüber hinaus gibt es bereits viele E-Learning-Angebote im Bereich No-Code-Entwicklung. Diese kommen tendenziell aus einem internationalem, IT-affinen Umfeld. Hier können klassische Bildungseinrichtungen im Bereich Erwachsenen- und Weiterbildung einen wertvollen Beitrag leisten, indem sie derartiges Wissen in der Breite zugänglich machen.

Die agilen Anpassungen von Unternehmen an sich schnell ändernde Marktbedingungen sind von entscheidender Bedeutung, sowohl in Deutschland als auch weltweit. No-Code-Entwicklung verspricht, diesen Prozess zu erleichtern.
Inwiefern können No-Code-Entwicklungen den Zugang zu Technologien erleichtern und Unternehmen befähigen, flexibler auf sich ändernde Anforderungen zu reagieren, ohne permanent auf hochspezialisierte IT-Experten angewiesen zu sein?
Bitte nennen Sie hier Beispiele aus der angewandten Praxis eines KMU.

Die Stärke von No-Code-Entwicklungsplattformen ist, dass Anwender*innen in Sekundenschnelle auf sich ändernde Anforderungen reagieren können. Fehlt ein weiteres Datenattribut im CRM, eine neue Seite im Webshop oder eine neue Funktion im Kundenportal, kann dies direkt selbst eingebaut werden. Es erfolgt kein IT-Ticket an meine SAP-Beratung, keine erneute Beauftragung einer IT-Agentur oder Suche nach einer neuen Software. So konnte beispielsweise ein KMU-Kunde in wenigen Tagen einen “Datenschatz”, den er besaß, hinter einer Paywall auf einem selbst konfigurierten Portal anbieten und somit ein neues, digitales Geschäftsmodell innerhalb von wenigen Stunden an den Markt bringen. Wenn das Geschäftsmodell nicht fruchtet, hat er es mit wenigen Klicks angepasst oder stellt es sogar wieder ein, weil er eben kein sechsstelliges Investment geleistet hat, sondern nur ein paar Hundert Euro. Viel flexibler geht es nicht.

In Deutschland steigt der Druck auf Unternehmen, ihre Produktentwicklung zu beschleunigen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Beschleunigung von Anwendungs-Entwicklungszyklen könnte den Bedarf an IT-Fachkräften zusätzlich signifikant erhöhen.
Welche Auswirkungen hat No-Code auf die Produktivität von KMUs, insbesondere im Hinblick auf die beschleunigte Entwicklung von Anwendungen, und wie kann dies dazu beitragen, den Bedarf an zusätzlichen IT-Fachkräften zu minimieren?

No-Code-Entwicklung kann zu einem zweifachen Produktivitäts-Booster werden. Nicht nur werden zusätzlich Ressourcen eingespart, weil anstatt neuer IT-Kräfte bestehende Mitarbeiter*innen Anwendungen selber entwickeln, sondern auch die Entwicklungszeit reduziert sich, weil viele Schritte klassischer Entwicklungsprozesse komplett entfallen. Denken wir nur an die Anzahl der internen Freigaben, die es benötigt, damit eine IT-Agentur eine Anwendung für mich programmiert. Wenn sie nach mehreren Monaten fertig sind, brauche ich wieder unzählige Freigaben. Wenn nun IT-Entwicklung nichts mehr kostet und aus Monaten Minuten werden, dann spare ich mir auch unzählige Abstimmungsrunden und habe vielleicht nur noch eine letzte Freigabe, wenn alles bereits gebaut ist. No-Code stellt die komplette IT-Entwicklung, wie wir sie heute kennen, auf den Kopf. Coding wird Commodity. Das ist mehr als ein Paradigmenwechsel. Der Erfolg von Unternehmen wird davon abhängig sein, wie schnell ich “IT” auf die Straße bringe. No-Code-Entwicklung wird zum Wettbewerbsvorteil für KMUs.

Vita von Sven Pietsch

Sven Pietsch ist Gründer und Geschäftsführer der Innoloft GmbH aus Aachen. Neben Produktentwicklung ist er für die Bereiche Personal und Finanzen verantwortlich. Der Energietechniker erhielt 2017 seinen ersten Master-Abschluss in der Wärmetechnik an der Tsinghua Universität in Peking. Anschließend erlangte er einen weiteren Masterabschluss in Energietechnik an der RWTH Aachen.

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