Die zunehmend komplexere Arbeitswelt muss sich auch in der Ausbildung von Nachwuchsführungskräften niederschlagen. Und das besser heute als morgen.
Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Rupert Hasenzagl
Hoch genug sind sie ja, die Ansprüche an moderne Manager: Chefs und Mitarbeiter erwarten, dass ihre Führungskräfte immer versierter delegieren und koordinieren, sich auf die Kompetenz interner Experten verlassen und diese führen. Natürlich sollen sie auch einmal eine unliebsame Entscheidung durchsetzen können. Aber bitte nicht auf der Basis traditioneller hierarchischer Strukturen.
Die Rolle von Managern ist heute eine andere als vor ein paar Jahrzehnten. Begründet liegt das vor allem darin, dass der Job von Führungskräften in einem immer komplexeren Umfeld stattfindet. Dieser Umgang mit der Komplexität befindet sich im Mittelpunkt aller moderner Managementtheorien: Man ist überzeugt, dass die Umwelt der Firmen generell immer schnelleren Veränderungen unterliegt und die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhänge, die es dabei zu beachten gilt, immer komplexer werden.
Gleichzeitig scheint die klassische, hierarchische Laufbahn in Unternehmen viele junge Fachkräfte nicht mehr zu locken: Talentierte Mitarbeiter wollen sich häufig lieber auf Expertenebene weiterentwickeln statt als Führungskraft ihre Zeit mit Bürokratie und Meeting-Marathons zu verbringen. Ein Indikator dafür, dass Managementpositionen nicht mehr als so attraktiv erachtet werden wie noch vor 20 Jahren. Ist etwa das Management im Umgang mit Komplexität überfordert? Das würde die schwindende Attraktivität von Managementpositionen zumindest teilweise verständlich machen.
Einfache Konzepte für steigende Komplexität
Ein bedeutender Indikator für Probleme bei der Komplexitätsbearbeitung ist die seit mehr als 20 Jahren steigende Zahl an sogenannten Managementmoden. Denn Manager neigen dazu, auf die steigende Umweltkomplexität mit einfachen Konzepten zu reagieren. Diese versprechen geschickt, die Steuerbarkeit ihres Unternehmens auch bei steigender Unsicherheit zu gewährleisten. Die Liste dieser Methoden ist lang: Sie heißen Business Process Reengineering, Lean Management, Total Quality Management, ISO 9000 und Six Sigma. Sind sie aber weniger für die Anwender als für Buchautoren und Berater ein gutes Geschäft?
Der Ansatz, steigende Komplexität mit einfachen Konzepten zu bewältigen, ist weder theoretisch argumentierbar, noch lassen sich in der Praxis nachhaltige und tiefgehende Verbesserungen hinsichtlich der Unternehmensführung nachweisen. Die Folge der Erfolglosigkeit ist ein ständiger Wechsel der Methoden, ohne dem Management wirklich hilfreich zu sein. Warum? Weil diese „Managementmoden“ auf mechanistischen Organisationsbildern beruhen. Das heißt auf simplen, an die Naturwissenschaften angelehnten Vorstellungen von Organisationen. Diese Ideen sind aber auch Grundlage der Betriebswirtschaftslehre und der Bürokratie.
Viele Vorgänge lassen sich in diesem Weltbild nicht abbilden
Insbesondere die auf der Mikroökonomie basierende Betriebswirtschaftslehre ist als Werkzeug der Unternehmenssteuerung sehr wertvoll. BWL-Kenntnisse sind darum für Manager unabdingbar. Aufgrund der extremen Vereinfachungen, insbesondere bei der Abbildung sozialer Realitäten, ist die BWL aber nicht in der Lage, komplexe soziale Vorgänge wie tiefgehende Organisationsveränderungen oder radikale Innovationen in Organisationen auch nur annähernd abzubilden. Andererseits macht gerade die Einfachheit des Organisationsverständnisses die BWL attraktiv für die Praxis. Das umso mehr, als das Weltbild der mechanistischen Theorien sich gut mit der Praxis deckt.
Auf der Strecke bleiben Manager, die versuchen, überwiegend auf Basis der BWL-dominierten akademischen Ausbildung ihre Unternehmen zu steuern. Sie erleiden fast zwangsläufig Schiffsbruch mit ihren auf Rationalität (genauer gesagt auf ihre eigene Rationalität) begründeten Lösungskonzepten. Es ist gut beobachtbar, dass die Manager zum Durchsetzen der vereinfachten Konzepte Macht einsetzen – in der Folge bürokratisiert das Unternehmen zunehmend. Auch in den USA findet sich die Diskussion über die simplen Theoriemodelle, die in der Praxis verwendet werden und bei steigender Komplexität mehr Schaden anrichten als sie nutzen. Der angesehene Stanforder Professor Jeffrey Pfeffer fragt beispielsweise in einem Artikel „Why do bad management theories persist?“ und findet Antworten auch im akademischen System.
Mehr „Opfer“ als „Täter“
Um die Erwartungen ihrer Umwelt zu erfüllen und angesichts der schwachen theoretischen Basis, auf die Manager üblicherweise zurückgreifen müssen, bleibt ihnen oft gar nichts anderes übrig, als wie beschrieben zu agieren. Nur müssen sie dann oft eher als „Opfer“ denn als „Täter“ betrachtet werden. Dass dies aber in der Praxis so nicht üblich ist, zeigen Umfragen bei (Nachwuchs-) Führungskräftetrainings. Dort findet man überwiegend kein gemeinsames Verständnis, was denn nun „Führung“ oder „Management“ sei und warum beide wichtig für Organisationen sind. Aber der Großteil der in Seminaren und Lehrgängen befragten unteren oder mittleren Führungskräfte hält das obere Management des eigenen Unternehmens für „unprofessionell“ – allerdings ohne dabei den Begriff „professionell“ zu hinterfragen.
Wissenschaftliche Analysen zum Professionalisierungsgrad von Management führen aber zu einem ähnlichen Ergebnis. Management ist keine Profession. Es fehlt vor allem an zwei Dingen: einer Standesvertretung, die auf Standards und Weiterentwicklung der Profession achtet; und an einem Kern von akademischem Wissen und einer Ausbildung, die eine Profession begründen. Oder würden Sie zu einem Arzt gehen, der im Vorberuf Metzger war und dann vielleicht in drei einwöchigen „Arzt Development“-Ausbildungen Praxisvorstellungen vermittelt bekommt? Für Manager inmitten ihrer komplexen Umwelt ist eine derartige Karriere aber leider viel zu häufig Realität.
Die fehlende Professionalisierung – insbesondere im Umgang mit hoher sozialer Komplexität – scheint ein Hauptgrund zu sein, warum Westeuropa in einer Phase immer effizienterer Ausbeutung alter Innovationen verharrt, radikale Veränderungen aber kaum möglich sind. Eine Wissensbasis, bestehend aus einer theoriebasierten akademischen Managementausbildung und einer darauffolgenden Praxisphase, wie in bestehenden Professionen wie unter Ärzten und Anwälten üblich, ist auch für das Management in unserer komplexen Welt unabdingbar.
Über den Autor
Prof. Dr. Rupert Hasenzagl ist Professor für Industrielles Management an der AKAD University, einer der größten Fernhochschulen in Deutschland. Seit 1991 unterrichtet er an Universitäten und Fachhochschulen zu den Themen General Management und Managementberatung.
Mehr Informationen gibt es auf www.akad.de.
Quelle: Prof. Dr. Rupert Hasenzagl