Modellversuch „Flexibler Wärmestrom“: Ergebnisse bestätigen Nutzen für die Energiewende
Kunden reagieren überwiegend positiv – Projektzeitraum wird verlängert
Boxberg/Karlsruhe. Der Wind weht wann er will, die Sonne scheint mal mehr und mal weniger – erneuerbare Energien in das gewachsene System der Energieversorgung zu integrieren, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. In einem Modellversuch hat die EnBW in den vergangenen zwei Jahren untersucht, inwieweit man überschüssigen Ökostrom sinnvoll nutzen kann oder bei einer Flaute Verbrauch verschieben kann. Im Fokus standen dabei Wärmestrom-Anlagen, also Wärmepumpen oder Speicherheizungen. Die Ergebnisse, die jetzt vorgestellt wurden, zeigen: Das Prinzip funktioniert; um weitere Details zu erarbeiten, geht der Modellversuch aber in die Verlängerung.
Dabei kann die EnBW weiterhin auf großes Interesse des Umwelt- und Energieministeriums Baden-Württemberg setzen: Hier verfolgt man den Modellversuch im Rahmen des in Kooperation mit der Deutschen Energie-Agentur (dena) laufenden Pilotprojekts zur Nachfrageflexibilisierung (DSM) sehr aufmerksam.
Rund 150 Testkunden in Boxberg (Main-Tauber-Kreis), Königsbach (Enzkreis), Pfinztal (Kreis Karlsruhe) und Kirchheim/Teck (Kreis Esslingen) waren von der EnBW in das Projekt mit dem Namen „Flexibler Wärmestrom“ eingebunden. Bei ihnen wurden zusätzliche Steuergeräte in den Zählerschrank eingebaut, die es ermöglichten, die Anlage bei Bedarf anzusteuern und zu regeln. Zugleich wurden im örtlichen Stromnetz neue Techniken wie intelligente Ortsnetzstationen eingesetzt. In diesem Rahmen sollten Wärmestrom-Anlagen dann geladen werden, wenn viel Strom zu Verfügung stand und deshalb die Preise im Großhandel niedrig waren. Bis hin zum Extremfall, wenn zu viel erneuerbarer Strom in die Netze drängt: Dann, so die Idee, könnten die Wärmestrom-Anlagen sogar aktiv angefordert werden – die für den Notfall vorgesehene zwangsweise Abschaltung von Windkraft- oder Photovoltaik-Anlagen wäre überflüssig. Und das alles, ohne dass die Kunden Einbußen am Komfort hinnehmen müssen.
Aus Vertriebssicht: Interessante Tarifmodelle sind möglich
„Die technische und energiewirtschaftliche Komplexität ist hoch“, berichtet EnBW-Projektleiter Jan Gratenau: „Das fängt bei der unterschiedlichen Größe von Zählerschränken an und reicht bis zu den nicht immer aktuellen Datengrundlagen.“ Aus Sicht des Stromvertriebs zieht Gratenau dennoch eine eindeutig positive Bilanz: „Wir haben vom Netzbetreiber Netze BW speziell berechnete, tagesgenaue Belastungsgrenzen für das Netz bekommen. In diesen Grenzen konnten wir uns frei bewegen und die Anlagen der Kunden dann laden lassen, wenn der Strom im Handel besonders günstig war.“ Diese Möglichkeit führt zu einem ganz anderen Ladeverhalten als früher: Während sonst klassischerweise in der Nacht Wärme geladen wurde, hörten die Kunden die charakteristischen Schaltgeräusche ihrer Speicherheizungen jetzt zum Beispiel auch einmal in der Mittagszeit, wenn viel Solarstrom ins Netz drängt.
„Daraus kann man interessante Tarifmodelle bauen“, folgert Gratenau. Die Akzeptanz bei den Kunden ist offenbar kein Problem: Mehr als zwei Drittel registrierten trotz der veränderten Schaltungen keine Veränderung beim Komfort, ein Viertel fand die neuen Zeiten sogar besser. Lediglich acht Prozent brachten Kritik an, die jetzt in die weiteren Untersuchungen einfließt.
Die Sicht des Netzbetreibers: Netzstabilität gewährleistet
Auch aus Sicht des Verteilnetzbetreibers Netze BW GmbH hat sich der Modellversuch gelohnt: „Die Stabilität des Netzes war während der Optimierungsmaßnahmen jederzeit gewährleistet“, erklärte Projektleiter Willi Schweinfort von der Netze BW: „Das zeigt, dass wir hier tatsächlich eine Möglichkeit schaffen können, um Stromverbrauch in Zeiten mit hoher Solar- und Windeinspeisung zu verschieben. Es wäre also denkbar, die neu gewonnenen Freiheitsgrade in neutraler Form allen Akteuren auf dem Markt zur Verfügung stellen.“ Die Situation, dass erneuerbare Energien im Überfluss im Netz waren und notfalls Anlagen hätten abgeregelt werden müssen, trat im Untersuchungszeitraum zwar nicht auf, wurde aber erfolgreich simuliert und durchgespielt.
Eine gute Gelegenheit zur Erprobung des Konzepts bot auch die partielle Sonnenfinsteris am 20. März 2015: „Wir wussten ja, dass das Angebot an Solarstrom am Vormittag deutlich zurückgehen und dann wieder steil ansteigen würde. Das haben wir genutzt und ‚unsere‘ Wärmestromanlagen zunächst vom Netz genommen und erst nach Ende der Sonnenfinsternis hochgefahren“, berichtet Jan Gratenau: „Unser Konzept könnte also in ähnlichen Situationen, wie sie im Rahmen der Energiewende immer häufiger auftreten, einen Beitrag zur Netzstabilität leisten.“
Projektzeitraum wird verlängert
Die grundsätzlichen Annahmen des Modellversuchs haben sich also bestätigt. Für das Projektteam ein Ansporn, weiterzumachen: „Wir haben das ‚Ob‘ beantwortet, aber noch nicht genau das ‚Wie viel‘, fassen Jan Gratenau und Willi Schweinfort zusammen. Deshalb geht der Modellversuch in die Verlängerung: Weitere 12 Monate sollen jetzt zusätzliche Erfahrungen gemeinsam mit den Testkunden gesammelt werden. Dazu gehört auch die Frage, wie genau sich die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern müssten, damit das Konzept tatsächlich Realität werden könnte. Notwendig wäre zum Beispiel die großflächige Einführung von intelligenten Stromzählern mit den dazugehörigen Bilanzierungsverfahren oder eine neuartige Systematik bei den Netzentgelten, um ein flexibles „netzdienliches Verhalten“ von Verbrauchern belohnen zu können.