Namib-Käfer als Vorbild für ergiebigen Nebelfänger
HighTex-Materialien der Zukunft oft der Natur nachempfunden
Die Textilforschung erwartet aus der Übertragung von Wirk- und Konstruktionsprinzipien aus der Natur einen Materialschub in Form von neuen faserbasierten Werkstoffen. Jüngste Entwicklung ist ein Nebelfänger, der die Trinkwassergewinnung aus der Luft in küstennahen Zonen revolutionieren könnte.
Wie Dr. Klaus Jansen, Geschäftsführer des 16 Brancheninstitute umfassenden Forschungskuratoriums Textil mitteilt, gibt die deutsche Textilforschung auch mit Blick auf bionische Innovationen international den Ton an. Unumstrittenes Kompetenzzentrum in diesem Bereich und gleichzeitig Kern bzw. wichtiger Bestandteil von zum Teil internationalen Bioniknetzwerken ist das bei Stuttgart ansässige Institut für Textil- und Verfahrenstechnik Denkendorf (ITV). Erste Entwicklungen wie selbstreinigende Textilbeschichtungen zum Beispiel auf Markisen – hierbei kommt der Lotuseffekt zur Anwendung – seien im Mittelstand angekommen. Sie sorgten als Weltneuheit bei den Herstellern für Umsatz und Arbeitsplatzsicherung, so Jansen.
Der technische Pflanzenhalm, lichtdurchlässige Wärmedämmung oder unbenetzbare Bademoden haben eine Gemeinsamkeit: Ihre Wirkprinzipien wurden der Natur abgelauscht und auf den Zukunftswerkstoff Textil übertragen. Aktuellstes Beispiel, für den die ITV-Forscher um Dr. Thomas Stegmaier Industriepartner suchen, ist ein sogenannter Nebelfänger. Das 3D-Textil als Gemeinschaftsentwicklung von Denkendorf mit der Universität Tübingen gewinnt nach einem verblüffenden Naturprinzip in küstennahen Regionen mit regelmäßigen Nebelschwaden beträchtliche Wassermengen aus der Luft. Vorbild dieser Innovation, die gegenwärtig in Namibia und auf Kreta getestet wird, ist der Nebeltrinker-Käfer Onymacris unguicularis aus der Namibwüste. Der Schwarzkäfer organisiert mit mikroskopisch kleinen Strukturen aus der Luftfeuchte seinen Tagesbedarf an Wasser. Tautröpfchen, die auf seinem Rücken anhaften, beginnen zu wachsen und perlen über den Chitin-Rücken direkt in seinen Mund und sichern so das Überleben für den nächsten Tag.
Projektleiter Dr. Stegmaier beziffert die standortabhängige Maximalausbeute der textilen Nebelkollektoren zwischen drei (Namib) und 55 Liter (Südafrika) Wasser je Quadratmeter Gewebe und Tag – „Nebelereignisse natürlich vorausgesetzt“. Damit sei der patentierte Nebelfänger aus Baden-Württemberg dreimal leistungsfähiger als vergleichbare Lösungen und könne zudem Orkanen widerstehen. In dem bis zu zwei Zentimeter dicken Material, das sich inzwischen auch industriell herstellen lässt, sieht der Bionikexperte eine hoch effektive Möglichkeit, in wasserarmen Regionen Trinkwasser oder auch Brauchwasser etwa zur Einzelpflanzenbewässerung zu gewinnen. Das Prinzip eigne sich darüber hinaus auch zur Filtration von anderen Tröpfchen aus Gasen (z.B. Schadstoffe aus der Luft). Es gebe „großes Interesse“ von Seiten der Industrie an einer entsprechenden Technologieentwicklung für industrielle Reinigungsprozesse, sagt Stegmaier.
Im Bionik-Kompetenzzentrum in Denkendorf laufen derzeit ein Dutzend weitere Entwicklungen mit Tieren und Pflanzen als Ideengeber. So steht maritimes Plankton im Fokus der Wissenschaft, um aus dem Bauplan dieser Winzlinge Lösungen für den Leichtbau selbst im Großmaßstab abzuleiten. Nach Vorbild einer afrikanischen Wildbiene, die Pflanzenöl an ihren besonders behaarten Beinen transportiert, soll ein textiler „Ölkanister ohne Wände“ zur Anwendung als Ölsperre für den Katastrophenschutz entwickelt werden. Bei einem weiteren Forschungsprojekt werden Bananenblätter unter die Lupe genommen. Ziel ist es, eine schwingungsarme Transportpalette mit faserverstärkten Materialien u. a. für den Versand von sehr stoßempfindlichen Gütern, z. B. Elektronikartikeln, zu entwickeln.
Kontakt: www.textilforschung.de, www.itv-denkendorf.de