Nur eine Nachricht dringt nach draußen: Die Gerüchte sind wahr
Kassel (dapd). Die Türen zum großen Saal im Kasseler Kongress Palais sind geschlossen. Während der zweieinhalbstündigen Betriebsversammlung von Nokia Siemens Networks (NSN) Services dringt am Mittwoch nur eine Nachricht nach draußen: Die Gerüchte sind wahr – das Tochterunternehmen des Netzwerkausrüsters NSN schließt bis Ende kommenden Jahres. Rund 1.000 Mitarbeiter verlieren ihre Jobs.
Buhrufe, Pfiffe und „andere Nettigkeiten“ seien den beiden Geschäftsführern Raimund Winkler und Günther Binder von den versammelten Mitarbeitern entgegengeschallt, als sie die Schließung verkündeten, sagt ver.di-Unternehmensbetreuer Mike Döding der Nachrichtenagentur dapd. Kurz vor Weihnachten eine solche Botschaft zu überbringen, sei „moralisch einfach verwerflich“.
Das sehen auch die Beschäftigten so. „Der ver.di-Mann hat ausgesprochen, was wir alle denken“, sagt eine Frau vor dem Palais, während drinnen die Versammlung noch läuft. Sie habe es nicht mehr ausgehalten und einfach mal „an die Luft“ gehen müssen. „Phrasen, nur Phrasen“ hätten die Geschäftsführer als Begründung für die Schließung parat gehabt, sagt die Mittfünfzigerin. Mit drei vorbereiteten Folien hätten sie erklärt, dass sie das Licht ausschalten.
Sieben Millionen Euro Streitwert
Die Konzernmutter NSN betont, große Anstrengungen unternommen zu haben, um mit der Service-Tochter dauerhaft profitabel zu werden. „Trotzdem ist das Geschäft nach wie vor defizitär, und ein Erreichen der Gewinnschwelle ist nicht absehbar“, sagt NSN-Deutschland-Geschäftsführer Hermann Rodler. Aus Konzernsicht seien die „anhaltenden Verluste“ in einer Sparte, die nicht zum Kerngeschäft gehöre, nicht mehr tragbar.
Verträge mit dem Hauptkunden Telekom, die rund 50 Millionen Euro Umsatz ausmachten, seien nicht verlängert worden, berichtet der Betriebsratsvorsitzende von NSN Services, Michael Trabant, welche Gründe die Geschäftsleitung gegenüber der Belegschaft angegeben hat. Der Streitwert bei den Vertragsverhandlungen soll sieben Millionen Euro betragen haben. Da aber von den 1.072 Mitarbeitern 222 entliehene Beamte der Telekom seien, müsse NSN jetzt rund 220 Millionen Euro an die Telekom zahlen, damit sie ihre Mitarbeiter wieder zurücknimmt. „Das sieht nach Absprache aus“, sagt ver.di-Unternehmensbetreuer Döding. Betriebsratschef Trabant hält das Vorgehen für „typisch für NSN“.
Vor zwei Monaten noch alles rosig
Seit der Gründung aus den Netzwerk-Sparten des Technikkonzerns Siemens und des Handyherstellers Nokia kämpfte der Mutterkonzern immer wieder gegen Verluste und baute Tausende Jobs ab. So wird derzeit noch die im Frühjahr dieses Jahres angekündigte Streichung von insgesamt 2.900 Stellen in Deutschland umgesetzt. Ende November erklärte das Unternehmen, den Standort in Bruchsal bei Karlsruhe zu schließen – obwohl dieser eigentlich eine Bestandsgarantie bis Ende 2014 hatte.
Die Mitarbeiter der Tochter Services hätten vor zwei Monaten von den Geschäftsführern noch Zahlen präsentiert bekommen, wonach ihr Unternehmenszweig im kommenden Jahr fünf Millionen Euro Gewinn erzielen werde, sagt ein Mann. „Jetzt antworten sie auf Fragen nur mit ‚das weiß ich nicht‘ und ‚das kann ich nicht sagen‘ und ’nicht wirtschaftlich“, kritisiert der um Fassung ringende Mitarbeiter. Seit 40 Jahren sei er in der Branche tätig und über Vorgängerunternehmen zu NSN Services gekommen. So wie er seien die meisten der Kollegen älter als 50 Jahre. Und die Branche sei „speziell“, da gebe es ohnehin kaum Arbeitsplätze – „jetzt noch einmal etwas Neues finden, wird schwierig“.