Die Startup-Szene in Deutschland zählt zu einem wichtigen Teil der Wirtschaft und wird dahingehend auch häufig thematisiert. Aufgrund der aktuell wirtschaftlich herausfordernden Zeit ist es jedoch mit vielen Risiken verbunden. Eine spannende Alternative bietet für angehende Unternehmer der Firmenkauf. Wir sprachen mit Business-Mentor, Investor und Speaker Oscar Karem über die zentralen Vorteile und Möglichkeiten eines Firmenkaufs.
1. Warum macht es Ihrer Meinung nach mehr Sinn ein bestehendes Unternehmen zu kaufen, anstatt ein Neues zu gründen?
Grundsätzlich ist der Unternehmensaufbau mit sehr viel Aufwand verbunden, es kostet viel Zeit, Energie und vor allem Geld. Außerdem hat man bei der Gründung kein „Proof of Concept“, die Geschäftsidee hat sich schließlich noch nicht bewiesen und Systeme sowie Prozesse müssen erst impliziert werden. Auch die Kundengewinnung ist zu Beginn häufig mühsam, da es keine Marketingstrategie und keinen Vertrieb gibt. Über die nächsten Jahre gilt es dann, einen passenden Ruf aufzubauen und sich Know-how anzueignen.
Im Gegenteil zu einem bestehenden Mitarbeiterstamm ergeben sich für Neugründer oftmals Schwierigkeiten, die richtigen Mitarbeiter zu finden und diese auch auszubilden. Zuletzt schreiben neugegründete Unternehmen im Durchschnitt nach drei Jahren erst schwarze Zahlen. Das zieht mit sich, dass alles, was verdient wurde in der Regel reinvestiert werden muss.
2. Kann man pauschal sagen, welche Art von Unternehmen am ertragreichsten sind?
Dienstleistungsunternehmen haben in der Regel hohe Margen, sind einfach zu führen und am leichtesten zu skalieren. Diese skaliert man nämlich hauptsächlich über Personal und Prozesse. Außerdem kann der Kunde bei einem Dienstleistungsunternehmen im Gegensatz zum klassischen Handel nicht so einfach „Äpfel mit Äpfeln“ vergleichen. Ein Vorteil davon ist es, höhere Preise abrufen zu können. Zudem werden keine Logistik sowie keine Warenbeschaffung benötigt, was bei der derzeitigen Situation rund um Lieferketten von enormem Vorteil sein kann!
Eine weitere, sehr gute Geschäftsmöglichkeit stellt ein systembasiertes Geschäftsmodell wie zum Beispiel ein „Software as a Service“ (SaaS) Unternehmen dar. Diese sind nahezu unbegrenzt skalierbar und sehr schlank zu betreiben. Von diesen stehen allerdings derzeit nicht viele auf dem Markt zum Verkauf, eben wegen des einfachen Betriebes.
3. Welche ersten Schritte müssen beim Unternehmenskauf beachtet werden?
Wichtig ist nicht, nach dem billigsten Unternehmen, dem sympathischsten Verkäufer oder dem augenscheinlich profitabelsten Unternehmen Ausschau zu halten. Vielmehr sollte das Investitionsobjekt zu den eigenen Vorstellungen und Anforderungen passen. Es muss mit den Wünschen und Erwartungen übereinstimmen. Zusätzlich sollte die Unternehmensgröße nach dem gewünschten Verdienst gewählt werden, dabei muss man jedoch beachten, dass man sich hier nicht überschätzt, sondern lieber kontinuierlich wächst.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Verkäufer selbst: 50% der Deals scheitern aufgrund der Eigenwilligkeit des Verkäufers. Der Verkäufer ist immerhin auch der, mit dem man klarkommen muss. Zu guter Letzt sollten speziell Existenzgründer darauf achten, dass das Unternehmen auch refinanzierbar ist. Gerade bei Unternehmen wo viele harte Assets wie Immobilien, Maschinen oder große Warenbestände mitverkauft werden, lässt sich die Rückzahlung des Fremdkapitals durch das Verhältnis von EBIT und Verkaufspreis oft schwer realisieren.
4. Stichwort Digitalisierung – Gibt es dazu passende Tools, welche Sie nutzen? Falls ja, welche?
Digitalisierung bedeutet meiner Meinung nach nicht bestimmte Tools im Einsatz zu haben, ein Tool zu verwenden oder eine schöne Website zu haben. Digitalisierung setzt darauf, bestimmte Bausteine des Geschäftsmodells so umzumodeln, um einzelne Prozesse auf das Internet zu verlagern. Das kann zum Beispiel der Kundengewinnungsprozess, der Rekrutierungsprozess neuer Mitarbeiter oder der Schulungsprozess des Personals sein, um nur ein paar wenige zu nennen.
5. Welche KPIs sollten beim Erwerb eines neuen Unternehmens am stärksten beachtet werden?
Der typische Unternehmerblick fokussiert sich auf den Umsatz und das EBIT (Gewinn vor Steuer). Diese Zahlen sind allerdings wenig aussagekräftig, ohne das sogenannte „Gesamtbild“ vor Augen zu haben. Darüber hinaus spielt die Beschaffenheit der Firma eine viel wichtigere und größere Rolle. Dazu zählt unter anderem die Positionierung, die Wertschöpfungskette, die Mitarbeiterstruktur, die Inhaberabhängigkeit, die Marktfähigkeit oder auch die Skalierungsfähigkeit.