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„Wertschätzung liquider Mittel wird weiter steigen“

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Wie werden Lieferketten in turbulenten Zeiten sicher finanziert? Fragen an Markus Schiffers, Managing Director bei Orbian. Gegründet von SAP und der Citibank 1999, ist Orbian heute ein privates Unternehmen, das sich auf die Finanzierung von Lieferketten spezialisiert hat.

„Wir erleben eine Zeitenwende. Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor“. Diese Worte von Bundeskanzler Olaf Scholz kurz nach Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine machen deutlich, auf was sich Deutschlands Gesellschaft, Politik, vor allen aber auch die Wirtschaft einstellen müssen: Nichts ist mehr selbstverständlich. Das gilt auch für die Lieferketten, von denen viele in der Pandemie und den Kriegswirren gerissen sind. Wie sicher ist unsere Versorgung und die unserer Industrien eigentlich noch, Herr Schiffers?

Ohne dieses Thema dramatisieren zu wollen, sehen wir, dass viele Unternehmen nun schon seit einer sehr langen Zeit Schwierigkeiten mit den Lieferketten haben. Diese Schwierigkeiten sind bereits mit der Ausbreitung von Covid entstanden. Seit dem Ukraine-Krieg stehen Themen wie Versorgungssicherheit und Gaspreise im Fokus, aber die übrigen Probleme sind deswegen nicht kleiner geworden. Viele Unternehmen und deren Kunden haben schmerzhaft erfahren, was es für ihr Geschäft bedeutet, wenn bestehende Lieferketten nur beschränkt funktionieren oder gar komplett reißen. Durch die vielfach etablierte Just-in-Time-Produktion führt das sofort zu Problemen in den eigenen Werken. Zum Teil wurde die Produktion hochwertiger Güter gestoppt, weil wichtige „Pfennigsartikel“, über deren Herkunft man sich nie Gedanken gemacht hatte, nicht verfügbar waren. Doch Deutschlands Mittelstand hat das Problem glaube ich erkannt und handelt.

Inwiefern?

Indem man für wichtige „Pfennigsartikel“ zum Beipiel wieder ein Lager vorhalten wird. Das Thema ist insgesamt aber viel komplexer und nicht über Nacht zu beheben. Die Unternehmen analysieren Ihre Lieferketten nun noch einmal sehr genau. Transportkosten konnten lange vernachlässigt werden. Vielfach war gar zu hören, dass Entfernung keine Rolle spiele. Dies trifft nun jedenfalls so nicht mehr zu. Der günstigste Einkaufspreis scheint darüber etwas an Bedeutung zu verlieren. Die nachhaltige Lieferfähigkeit – also auch woher ein Unternehmen seine Vorprodukte bezieht – spielt eine zunehmend wichtigere Rolle. Die Unternehmen beginnen die Lieferketten dementsprechend neu zu justieren. Insgesamt versucht man Lieferketten dadurch sicherer zu machen, dass die Lieferanten wieder näher an die Produktionsstandorte der Unternehmen heranrücken und kritische Komponenten nicht nur in Übersee hergestellt werden – davon kann Europa langfristig profitieren. Es gilt möglichst weitgehend zu verhindern, dass die Produktion auf dem Trockenen sitzt, weil wichtige Bauteile in Fernost nicht produziert werden oder schlicht wochenlang in einem havarierten Containerriesen im Suez-Kanal feststecken, wie im Frühjahr 2021 mit der „Ever Given“ geschehen.

Die Sicherung der Warenströme ist das eine, das andere die Sicherung von Finanzierung und Finanzströmen. Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform hat vor Kurzem in einer Studie ermittelt, dass die Zahlungsbereitschaft von Unternehmen durch die steigende Inflation und explodierende Energiekosten weiter sinken wird. Daher seien produzierende Unternehmen besonders unter Zugzwang, ihre Lieferketten zu sichern. Haben die Unternehmen die notwendigen Hausaufgaben aus Ihrer Expertensicht schon bewältigt und sich „sturmfest“ gemacht?

Es ist immer richtig und wichtig, seine Lieferkette optimal zu organisieren. Das schließt die Finanzierung der Lieferkette explizit mit ein. In Zeiten gestresster Lieferketten ist es von besonderer Bedeutung, dass man gemeinsam Wege nutzt, den Lieferanten eine Frühzahlung zu ermöglichen. Dies ist zum Teil eine Bedingung des Lieferanten, um überhaupt noch liefern zu können. Gerade bei Lieferungen aus Übersee sehen wir das im Moment sehr deutlich. Dazu ist Supply Chain Finance ein optimales Mittel, da es dem Lieferanten eine frühe Zahlung gibt, ohne dass der Einkäufer seine eigene Liquidität schwächt.

Wie genau funktioniert diese Lieferkettenfinanzierung?

Bei einer Lieferkettenfinanzierung wird der Zahlungsstrom zwischen Kunde und Lieferant entkoppelt und der Lieferant kann seinem Kunden daher leichter ein längeres Zahlungsziel gewähren. Als Teilnehmer an einem Supply Chain Finance-Programm muss der Lieferant nicht mehr bis zum Fälligkeitstag seiner Lieferantenforderung auf seine Bezahlung warten. Stattdessen erhält er wenige Tage nach Lieferung an den Kunden vom Supply Chain Finance-Programm eine Zahlung. Dies erhöht seine Liquidität und verkürzt seine Forderungslaufzeit.
Beim Kunden, der die Lieferkettenfinanzierung initiiert, wird der Liquiditätsabfluss durch das längere Zahlungsziel, das der Lieferant gewährt hat, verzögert.
Mit Supply Chain Finance können also sowohl der Lieferant als auch der Kunde das Working Capital verbessern und Liquidität freisetzen. Dabei profitieren die Lieferanten zusätzlich von sehr günstigen Finanzierungskosten von Supply Chain Finance – Programmen.
Ökologische und soziale Nachhaltigkeit und vor allem die Klimaneutralität werden bei allen wirtschaftlichen Aktivitäten immer wichtiger. Welche Bedeutung spielen diese Themen denn heute bereits im Bereich der Lieferketten und der Lieferketten-Finanzierung?

Wir sehen heute schon, dass das Thema ESG auch bei Supply Chain Finance stark an Bedeutung gewonnen hat. Heute liegt der Fokus zumeist auf der Einhaltung von „grünen“ Kriterien wie der Klimaneutralität. Man bewertet also eine Leistung des Lieferanten. Es sollte aber nicht lediglich darum gehen, dass der Lieferant gewisse Kriterien erfüllt. Supply Chain Finance selbst kann eine bedeutende Rolle im Bereich „Social“ erfüllen. Wir erlauben beispielsweise schon lange auch Lieferanten mit kleineren Liefervolumen die Teilnahme an unseren Programmen. Damit unterstützt der Einkäufer direkt auch kleine und von Minderheiten geführte Lieferanten.

Blicken wir in die Glaskugel. Welche Entwicklungen werden wir durch die aktuelle globale Wirtschaftslage in den kommenden Monaten mit Blick auf die Lieferkettenfinanzierung sehen?

Ich bin überzeugt, dass die Wertschätzung liquider Mittel in Europa weiter steigen wird. Wir haben uns nicht nur von negativen Zinsen verabschieden müssen. Es wird sich leider voraussichtlich auch der Zugang zu Finanzierungen für viele Unternehmen verschlechtern. Daher gehe ich davon aus, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Lieferanten und Kunden im Bereich Finanzierung der Lieferkette intensivieren wird. Der Kunde hat ein großes Interesse daran, seinen Lieferanten kostengünstigen Zugang zu Liquidität zu verschaffen und der Lieferant möchte seinem Kunden möglichst Zahlungsziele einräumen, die das Betriebskapital des Kunden schonen. Gemeinsam können sie Supply Chain Finance nutzen, um diese Ziele zu erfüllen.

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